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Implosion der Bevölkerung

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Seit 30 Jahren sinken die Geburtenzahlen. Mittlerweile sind historische Tiefstwerte erreicht.

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Seit 30 Jahren sinken die Geburtenzahlen. Mittlerweile sind historische Tiefstwerte erreicht.

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Was immer Ihr Anliegen ist, es läßt sich-nicht verwirklichen, es sei denn, Sie unterstützen das Null-Bevölkerungswachstum”: So ein Slogan, der Anfang der siebziger Jahre Autos und Uni-Anschlagtafeln in den USA zierte. Die Industrieländer standen unter dem Eindruck eines rapiden Wachstums der Weltbevölkerung. Der Club of Rome stieß seinen Alarmruf über die Grenzen des Wachstums aus und rief nach Maßnahmen gegen die Bevölkerungsexplosion.

In den Industrieländern fiel der Appell auf fruchtbaren Boden. Die Pharmaindustrie brachte die „Pille” auf den Markt. Die vom anti-autoritären Gedankengut geprägte Emanzipationswelle im Gefolge der Studentenunruhen 1968 wiederum erzeugte einen radikalen Umschwung im Lebensschutz: Die Industrieländer öffneten der Abtreibung Tür und Tor. Damit standen wirksame Instrumente zur Beherrschung der Fruchtbarkeit zur Verfügung-Hand in I Iand damit entfaltete sich eine selbstbewußte Frauenbewegung. Sie brachte jenes Leitbild erfolgreich unter die Leute, das die Erfüllung der Frau im Berufsleben sowie im Ausbrechen aus den „Zwängen” von Haushalt und Kinderbetreuung verheißt. Die enorm expandierende Welt der Medien griff diese Botschaft gerne auf und trug sie bis in die letzten Winkel der Länder.

Die Erfolge lassen sich heute deutlich auch in Österreichs Statistik ablesen. Seit 1964 sind die Geburtenzahlen um 35 Prozent gesunken: von 136.000 auf 89.000 (1995). Erstaunlich, daß diese schwerwiegende Tatsache nicht wirklich ins Bewußtsein der Bevölkerung eingedrungen ist. Warum eigentlich? Weil es bisher nicht zum Schrumpfen der Bevölkerung gekommen ist. Denn parallel zum Geburtenrückgang fand eine beachtliche Steigerung der Lebenserwartung statt. Sie liegt heute bei 80 Jahren für Frauen und bei 73,5 Jahren für Männer (fast sieben Jahren mehr als 1964). Außerdem kam es in diesen Jahren zu einem beachtlichen Zuzug von Ausländern, von Gastarbeitern und Flüchtlingen.

Wie schwerwiegend ist nun aber der Geburtenrückgang? Am besten wird seine Bedeutung durch die Beproduktions-rate ausgedrückt. Sie setzt die Zahl der neugeborenen Mädchen in Beziehung zu jener der Frauen im gebärfähigen Alter. Nimmt dieser Indikator den Wert eins an, so besagt dies, daß die weibliche Bevölkerung sich genau regeneriert, liegt er darunter, kündigt sich ein Schrumpfen an.

Nun, diese Reproduktionsrate hat sich in den vergangenen Jahrzehnten beachtlich verringert. Sie fiel von l,17(1969)auf 0,67 im Jahr 1995 (im Vorjahr dürfte sie etwa denselben Wert gehabt haben). Wie ist diese Zahl zu interpretieren? Beim derzeitigen Stand der Geburtenfreudigkeit kommen auf drei Frauen im gebärfähigen Alter nur mehr zwei Mädchen in der nächsten Generation. Oder: Bei sonst gleichbleibender Konstellation kommt es von Generation zu Generation zu einem Bückgang der Bevölkerung um ein Drittel. Eine beachtliche Bevölkerungsiimplo-sion zeichnet sich ab.

Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, daß ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Neugeborenen in Österreich Kinder von Ausländern (vor allem von Ex-Jugoslawen) sind. 1995 waren es immerhin 14 Prozent.

Zugegeben: Österreich steht mit dieser Entwicklung nicht allein da. Auch in den übrigen europäischen Ländern registriert man eine Abwärtstendenz. Besonders ausgeprägt ist sie in Südeuropa, wo Italien (das Land der „bambini”) und Spanien mit Beproduktionsra-ten von 0,58 (bzw. 0,59) die weltweit niedrigste Geburtenfreudigkeit aufweisen. In einzelnen Regionen geht es sogar noch weiter abwärts: etwa in den neuen deutschen Bundesländern. Hier wurde 1994 ein Wert von 0,38 (!) registriert, was so viel bedeutet, wie daß zehn Frauen von weniger als vier Mädchen ersetzt werden. Ein wahrer demographischer Zusammenbruch zeichnet sich da ab: Auf lange Sicht ergäbe das 13 Todesfälle je Geburt!

Sicher, in Österreich sind wir derzeit weit von solchen Horrorzahlen entfernt. Diese Werte aus dem Osten Deutschlands machen aber darauf aufmerksam, welche schwerwiegenden Folgen ein Umkippen der Geburtenfreudigkeit haben kann.

Auf dieselbe Weise, wie Demographen vor ausuferndem Bevölkerungswachstum warnten, ist es nach 30 Jahren Geburtenrückgang nunmehr an der Zeit vor der Bevölkerungsimplosion zu warnen.

Sie wird sich fraglos auf die langfristige Sicherung der Pensionen auswirken und sollte daher in der derzeit laufenden Debatte nicht augeblendet werden. Einerseits stimmt es: Eine pronatalistische Politik zu betreiben, nur um genügend Beitragszahler für die Pensionsversicherung zu haben, wäre ein Unfug.

Andererseits macht uns die schrumpfende Kinderzahl darauf aufmerksam, daß etwas in unserem Sozialgefüge falsch läuft. Ein Volk, das unberührt zuschaut, wie sich in absehbarer Zeit sein Bestand drastisch verringert, muß von einer tiefen Störung befallen sein. Eine solche Haltung deutet auf eine gestörte Beziehung zum Leben, zu seiner Art zu leben hin.

„Soll man in diese Welt überhaupt noch Kinder setzen?”, ist eine häufig gehörte Frage. Trotz steigenden materiellen Wohlstands macht sich eine pessimistische Grundstimmung breit, die mir die eigentliche Wurzel der Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft zu sein scheint. Wir bauen an einer Welt, die technische Wundertaten vollbringt, in die Kinder gar nicht mehr so recht passen: In der durchge-st3'lten Berufs- und Freizeitwelt, die als Maß aller Dinge gilt, ist alles vorprogrammiert, durchorganisiert, muß alles wie am Schnürchen und effizient klappen.

Ein Leben mit Kindern läuft aber nach anderen Regeln ab, denn Kinder sind spontan, nicht planbar, sie fordern Verzicht, Eingehen auf ihre Bedürfnisse, Geduld, Nachsicht, Aufmerksamkeit, sie brauchen ihre Mutter, einen Vater, der Zeit für die Familie hat. Wozu Kinder in die Welt setzen, wenn deren Weg von der Kinderkrippe über Kindergarten und Ganztagsschule plus Ferienheim führt?

Weil Familienleben gegen den Zeitgeist steht, ist es heute so schwierig, es zu verwirklichen. Daher bedürfte es einer gezielten Förderung. Kaum wird diese zeitgemäße Forderung jedoch laut, rennen leider die immer noch auf Frauenglück außer Haus fixierten, im Grunde reaktionären Ideologen dagegen Sturm. Wer kennt nicht die abgedroschenen Slogans, man treibe die Frauen zurück an den Herd und betreibe eine Politik wie die Nazis (als Ruf nach „monetären Mutterkreuzen” bezeichnete der Abgeordnete Volker Kier die Forderung von Minister Werner Fasslabend nach besserer Familienförderung)?

Ich weiß schon, daß man Familienglück nicht auf Knopfdruck und durch finanzielle Zuschüsse herstellen kann. Aber man kann die Bedingungen verbessern, unter denen Familien zu leben haben, man kann ihre finanziellen Sorgen (wieviele Familien mit Alleinverdienern leben an der Armutsgrenze!) verringern, man kann Frauen, die von sich aus mehrere Kinder großziehen wollen, die Verwirklichung dieses Anliegens erleichtern. Und man könnte endlich aufhören, die Familie als Ort der Unterdrückung zu karikieren und sich darauf besinnen, daß es weiterhin erklärtes Ziel auch der Jugend ist, ein erfülltes Famlienleben zu führen.

Maßnahmen, die diesem Ziel dienen, werden auch die Geburtenfreudigkeit erhöhen, ohne sie zu forcieren. Und genau das brauchen wir dringend.

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