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Die anonymen Bauwerke

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Wenn wir heute wieder das „anonyme Bauen“ entdecken und schätzen, so ist das weniger ein romantischer Zug (obwohl es von der Romantik zuerst entdeckt wurde) oder gar eine i Geste, sondern eben auch eine Besinnung auf diese „vorarchitektonischen Stadien“ des Bauens, aus denen wir viel zu lernen vermögen. Dort sind nämlich noch viele Gesetze rein wirksam und sichtbar, die heute in vielen Architekturen zurückeedrängt oder vergewaltigt wurden. Wir sehen in den anonymen Bauwerken nicht nur den selbstverständlichen Ausdruck einer handwerklichen Technik, der richtigen Behandlung und Verwendung der Baustoffe, sondern auch die einfache Entwicklung von Wohnformen als sichtbare .Gestalt vergangenen Zusammen; lebend überhaupt ■ .die,f ^oWteken| leicht überschaubaren Grade der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Erst später, wenn durch individuelle Kräfte differenziertere Formulierungen auftreten, beginnt die Architekturgeschichte, die gerade in historisierenden Perioden oft die Quellen des Bauens verdeckt hat.

Wir können heute angesichts der Arbeiten von Füller und anderer Pioniere (Wachsmann usw.) die Frage stellen, ob die Auseinandersetzung der Moderne mit dem Historizismus gründlich genug war oder ob sie nicht doch schon auf einer Ebene stattgefunden hat, die letztlich doch durch das stilistische Denken des vorigen Jahrhunderts geschaffen wurde.

Ein begeisterter Techniker

Füller wurde 1895 in Milton, Massachusetts, geboren. Seine Ausbildung war „lückenhaft“. Er besuchte zwar die „Harvard“, ging aber nach zwei Jahren in eine Fabrik für Baumwollverarbei-tungsmaschinen und kehrte, zur Überraschung seiner Eltern, als begeisterter Techniker zurück. Im ersten Weltkrieg geht er zur Marine und betreibt später ein technisches Studium an der Marineakademie. Anschließend leitet er fünf Jahre lang die Baufirma seines Schwiegervaters und wird dabei von der völligen Unzulänglichkeit traditioneller Baumethoden für die Lösung des Wohnungsproblems überzeugt. So orientiert er sich; angeregt durch die Erfahrungen,! an der damals fortschrittlichsten Technologie, am Flugzeugbau.

Einer der ersten Entwürfe ist das „Dymaxion-Haus“ (1927), ein sechseckiges, an einer zentralen „Versorgungsstütze“ ausgehängtes Haus aus Duraluminium und Glas. Alle Funktionen sind bis zum äußersten durchdacht und gehen in der kompromißlosen Verwirklichung ihrer Zeit weit voraus. John McHale beschreibt das Haus folgendermaßen:

„Der Bau des Dymaxion-Hauses gliedert sich um einen zentralen Schaft aus Duraluminium; an ihm hängen zwei sechseckige Plattformen, deren untere von einer Doppelscheiben-Vakuumverglasung völlig eingeschlossen wird. Aufhängung und strukturelle Festigkeit werden nach dem Prinzip des

Drahtspeichenrades durch im Dreieck aufgelegte Spannseile bewirkt. Der Schaft enthält die mechanischen Kernelemente, die Licht, Wasser, Klimatisierung usw. liefern ... Vom Boden bis zur Decke reichende Elemente unterteilten den Raum. Sie enthielten einige der Installationen und boten Platz zur Aufbewahrung von Lebensmitteln, Kleidung, Büchern usw. mit Hilfe von senkrecht und waagrecht schwenkbaren Fächern. Ferner gehörten in dieses System automatisches Waschen, Trocknen, Bügeln und das Zurücktransportieren zum Aufbewahrungsort sowie maschinelles Geschirrspülen und -trocknen. Die durch photoelektrische Zellen bedienten Türen waren faltbar und, wie die Fußböden, pneumatisch und geräuschlos. Durch Schaftschlitze wurde die Luft aufgenommen, dann gefiltert, gewaschen, auf Temperatur gebracht und zirkuliert. Durch entsprechende Druckluft- und Saugvorrichtungen wurde saubergemacht und Staub beseitigt.“ Diese Beschreibung wäre noch lange nicht zu Ende. Ein solches Haus sollte durch die Massenproduktion nicht mehr kosten als ein Auto.

„Dymaxion“ ist ein Begriff, den Füller geprägt hat und der immer wieder aufscheint; er stellt eine Mischung zwischen „dynamisch“ und „Maximum“ dar. Dahinter verbirgt sich aber ein ganzes Programm: mit einem Minimum an Aufwand zu einem maximalen Ergebnis zu kommen. Dieses Prinzip

der Ökonomie sollte man jedoch nicht rein merkantilistisch betrachten. Ökonomie ist nicht nur eine Tugend der Kunst, sondern vor allem auch ein besonderes Merkmal der Natur. „Die Natur baut am wirtschaftlichsten“, sagt Füller. Damit kommt man aber

auch zu seinem „strukturellen Denken“, das im Aufbau der Natur, in den Mikrostrukturen, seine Vorbilder hat. Da gibt es vor allem keinen rechten Winkel. Die Molekularstrukturen, der Aufbau der Kristalle, können nicht durch Quadration dargestellt und bestimmt werden, sondern ntir durch Triangulation.

So kommt Füller auch nicht über das historische Vorbild der idealen Raumkonzeption zur Kuppel, sondern durch die sehr einfache Überlegung, daß die Kugel den größten Rauminhalt mit der kleinsten Oberfläche vereint und gegen Innendruck widerstandsfähig ist. Ihr „gegenüber“ steht das Tetraeder mit der größten Oberfläche bei kleinstem Rauminhalt und großer Widerstandsfähigkeit gegen Außendruck. Aus diesen beiden Elementen hat Füller später seine Systeme entwickelt, seine zarten, leichten Kuppelkonstruktionen, die unter dem Namen „geodätische Kuppeln“ bekannt wurden.

Zunächst entsteht aber noch im Jahre 1927 der erste Entwurf für eine „Prüfliste der universellen Anforderungen“. Diese „ist ein umfassender Versuch, jede mögliche Anforderung aufzuführen und auch die meisten unvorhergesehenen Fälle zu bedenken, die dem Menschen in bezug auf Unterkunft eventuell widerfahren könnten“. Diese Prüfliste wird einige Male überarbeitet und 1960 erschöpfend detailliert und ergänzt. Sie ist selbst eine Struktur und zeigt die Arbeitsmethode

Füllers, die von der Erfassung und Darstellung des Ganzen zur Lösung einzelner Teile fortschreitet. So wird jedes Produkt auch später auf diese Totalität der maximalen Anforderungen hin geprüft und erhält dadurch einen ganz bestimmten Platz. Auf diese Vorausplanung dürfte auch ein größer

Teil des Erfolges seiner Arbeiten zurückzuführen sein.

Seit 1928 war Füller fast an allen amerikanischen Universitäten als Gastdozent. Seit 1945 ist er mit der Entwicklung der „geodätischen Kuppeln“ beschäftigt, bei der auch die kurzen Seminare mit Studenten eine große Rolle spielten.

Durchbruch zur Industrie

Erst 1953 gelingt Füller der Durchbruch zur Industrie. Die Ford-Werk

hatten einen Rundbau mit 28,30 Metern Durchmesser einzudecken, der jedoch eine freitragende, konventionelle Kuppelkonstruktion aus Stahl mit etwa 160 Tonnen nicht getragen hätte. So mußte man sich an Füller wenden, der „einen fertigen Hut vom Regal nahm“. Seine Kuppel wog nur 8,5 Tonnen.

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