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Erbe und Neuland

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Seit langer Zeit ein Sorgenkind der verantwortlichen kirchlichen wie musikalischen Stellen, ist die Frage des kirchenmusikalischen Nachwuchses heute brennender als je. Die Überalterung der Kirchenchöre und die dadurch bedingte ständige Abnahme ihrer Leistungsfähigkeit, das immer verwickeitere Besoldungsproblem, der Mangel an neuen Talenten und hervorragenden Schöpfungen sind bedenkliche Symptome einer an Neuerungsversuchen verschiedenster Art zwar reidien, aber dennoch ohne wirkliche innere Erneuerung dahinlebenden Zeit. Was geleistet wird, ist im Grunde formaler Natur und daher ohne breitere und nachhaltigere Wirkung, aufgespalten in Gruppen und Grüpp-dien. Zur Vereinigung fehlt der große Zug und Schwung. Ken Wrnder, daß die Kirchenmusiker am Altererbten festhalten und das undurdtsichtige Gestrüpp de; Neuerungen meiden — und die Gläubigen mit ihnen.

In diesem Sinne sind auch die beiden Abschlußkonzerte der Abteilung für Kirchen-und Schulmusik an der Akademie für Musik zu werten, deren eines Händeis „Alexanderfest“ aus dem Archivstaub ans Tageslicht holte, während das andere geistlichen Kompositionen Mozarts gewidmet war. Händeis vergessenes Oratorium war keine besonders glückliche Wahl, doch stellte es den geschickt benutzten Rahmen dar, in Solostimmer, Chören und instrumentalem Spiel Einzelleistungen und Ensemblekunst der Schulet vorzuführen und gleichzeitig eine einheitliche musikalische Leistung zu bieten, die sich von dem Programmsalat üblicher Schülerkonzerte energisch distanzierte.

Bedeutsamer erschien die Wiedergabe geistlicher Kompositionen Mozarts durch ihre lebendigere Frische und direkte kirchenmusikalische Problemstellung. Es erwies sich wieder einmal, daß Mozarts Kirchenstil, an sich anfechtbar und dem liturgischen Gedanken nicht unbedingt entsprechend, durch die geniale Persönlichkeit und überzeugende kindliche Frömmigkeit seines Schöpfers alle Bedenken überwiegt und (in einwandfreier Ausführung) als eine Art klangverklärtes Dogma die Herzen emporzieht zur ewigen Schönheit und Güte. Auch hier dokumentierte sich unter Professor Ferdinand Großmanns- Führung in bemerkenswerten Einzelleistungen und gesteigerter Gesamtwirkung ein talentierter kirchenmusikalischer Nachwuchs, der an den Stätten praktischer Wirksamkeit die empfindlich klaffende Lücke in mancher Hinsicht zu schließen vielleicht berufen ist. —

In der „Messe in M i x o 1 y d i s c h“ von Anton Heiller erstand kirchenmusikalisch erstmalig seit 1945 ein Werk eines jungen Komponisten, das über seine unmittelbare Aufgabe hinaus Stimme der jungen Generation ist. Fast wurde sie dem letzteren Anspruch gerechter als dem kirdv ,;chen, denn die von der gottesdienstlichen Musik geforderte Allgemeinverständlichkeit im Sinne des Sursum corda ist unbedenklich überschritten, dem Hörer gehen die klangglichen Zusammenhänge vielfach verloren. Die tonale Weiträumigkeit (wenn auch nicht die Meisterschaft der Linienführung) reicht an Lechthalers „Gaudens gaudebo“ heran, die Schwierigkeit der Ausführung vielleicht sogar darüber hinaus. An Ausdruckskraft dringt Heiller selten bis zum persönlichen Melos vor. Dennoch profiliert das Werk in schroffen Strichen und harten Quartengängen eine eigenwillige Persönlichkeit von großem künstlerischem Ernst und außerordentlicher Begabung, was bei der Jugend des Autors. Versprechen und Verpflichtung bedeutet. Als Aufgabe ergibt sich, durch technische Vereinfachung auf die Leistungsfähigkeit der Kirchenchöre diesen tatsächlich musikalisches Neuland zu erschließen und im Verein mit den liturgischen Forderungen zu einem neuen Kirchenmusikstil zu gelangen. Denn durch die landläufig geübte Praxis, die sie als Leerlauf empfindet, wird die Jugend und damit der Nachwuchs so wenig angelockt als durch noch so gutgemeinte Reformen, die aber der ernst zu nehmenden künstlerischen Gestaltung entbehren.

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