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Fesselnd, genial und geschäftstüchtig
Erste Filmwissenschaftliche Woche in Wien
Die Tatsache, daß die für die Zeit vom 27. Mai bis 3. Juni angesetzte erste „Internationale Filmwissenschaftliche Woche" in Wien unter dem Protektorat des Bundesministers für Unterricht, des Bundesministers für Handel und Wiederaufbau sowie des Bürgermeisters von Wien stand, erwies schon äußerlich, welche Bedeutung das offizielle Oesterreich diesem von der Oesterreichischen Filmwissenschaftlichen Gesellschaft durchgeführten, in seiner Art erstmaligen Unternehmen zumaß. Mit dem fast überreichen, durchdachten und geistig fundierten Programm wurden alle Erwartungen übertroffen.
Der Film in seiner heutigen Gestalt als Ganzes gesehen, erweckt in manchem Laien die Vorstellung einer in die inneren Bereiche des Menschen hinein wirkenden dämonischen Macht, die zu bannen Menschenkraft übersteigt. Die unübersehbare Kompliziertheit der einander übei- schneidenden, einander fortwährend durchdringenden, in Gestalt und Wirkung pausenlos wechselnden historischen und aktuellen Kräfte, die in den verschiedenen Ländern Film um Film hervorbringen, ist wahrhaft verwirrend. Doch was heute als Gigant „Film" vor uns steht, hat seine mehr als ein halbes Jahrhundert alte, fesselnde, dramatische und nicht selten lächerliche Geschichte. Sobald wir diese Geschichte bis in ihre Ursprünge zurückverfolgen, enthüllen sich die Geheimnisse des Giganten, des Dämons, als manchmal geniales, oft ignorantes, stets aber fleißiges und nicht selten einfach nur geschäftstüchtiges Menschenwerk.
Zur Erschlüsselung der historischen Geworden- heit „Film", die uns allein die rechte Handhabe bietet, einzugreifen in das überdimensionale Räderwerk, um es in Zukunft da und dort nach reineren, besseren Ideen lenken zu helfen, gab diese Woche der Filmwissenschaft reiches, ja für den Tagesgebrauch geradezu erschöpfendes Material. „Vom Kintopp zum Fernsehen" (Rudolf W. Kipp, Hamburg 1951). „The Birth of a Nation" (David W. Griffith, USA 1915), „Cajus Julius Cäsar" (Enrico Guazzoni, Italien 1913), „Der müde Tod" (Fritz Lang, Deutschland 1921), „Film und Wirklichkeit" (Geschichte des Tatsachenfilms, Alberto Cavalcanti, England 1942). „Julius Cäsar" (David Bradley, USA 1952, gedreht mit nur 15.000 Dollar), „Le Chapeau de Paille d’Italie" (René Clair, Frankreich 1927), „Dreams That Money Can Buy" (Hans Richter, USA 1947), „Orlacs Hände" (Conrad Wiene, Oesterreich 1924) — diese Filme, um nur die wichtigsten zu nennen, sind richtige Meilensteine der Entwicklung des Films und gewährten, in solchem Sammelprogramm gezeigt, einen erhellenden Blick hinter die Kulissen der Filmgeschichte.
Diese Schau war begleitet von Vorträgen erster Referenten aus dem In- und Ausland. Professor Doktor Walter Hagemann (Universität Münster) sprach über „Filmkunde oder Filmwissenschaft", Dozent Dr. Friedrich Heer über den „Film als Kulturerscheinung und Kunst”, Henri Langlois, Generalsekretär der Cinémathèque Française über „Filmgeschichte als Weg zum Verständnis der Filmkunst", Intendant H. E. Mutzenbacher, Leiter der Filmabteilung im Kultusministerium Saarbrücken, vom „Film als gesellschaftsbildende Macht". Ueber die „Geschichte der kulturellen Filmarbeit in Oesterreich" referierte Min.-R. Dr. Johann P. Hau-
stein, Wien, über „Die britische Jugendfilmarbeit" Mary Field, die bekannte Leiterin der britischen Jugendfilmstiftung, über die „Geschichtedes
Oesterreichischen Films" der Organisatorder
Veranstaltung, Dr. Ludwig Gesek. Weitereall gemeinwichtige Vorträge hielten Professor Doktor Martin Keilhacker von der Universität München über „Grundzüge des Filmerlebensder
Kinder und Jugendlichen" und Dr. J. M. L. Peters, Direktor der Nederlandse Onderwijs Film, über „Ziel und Weg der Filmerziehung".
Dem Laien wie dem Fachmann neue Begegnungen, neue Impulse vermittelnd, wardie
Filmwissenschaftliche Woche ein Ereignis,das den einschlägigen Organisationen wie der Publizistik Material für die Arbeit von Monaten lieferte, und das, so lautete der Wunsch aller Teilnehmenden, möglichst alle Jahre einmal in Wien, der Stadt mit der vielhundertjährigen Tradition als Umschlagplatz geistiger Güter, wieder stattfinden sollte.
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