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Gegen die etablierte Gesellschaft

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Stil der Jugend und Stil der Zeitschrift „Jugend“, zwei Begriffe aus der Jahrhundertwende, sind in einigen Künstlern mit wuchernder Phantasie entstanden. Diese Kunst, von vielen Zeitgenossen nicht ernst genommen, wurde auch in der Folgezeit von vielen belächelt oder einfach übersehen, bis wir eines Tages die verblüffende Entdeckung machen konnten, daß Jugendstil plötzlich Kunst war. „Zum zweiten Mal ist der Jugendstil in die Hauptstädte der westlichen Welt eingezogen. Hier ist er, was er bereits einmal war: eine künstlerische Strömung, ein Dekorationsstil, eine Mode und zum Teil auch eine Geschmacksentgleisung. Man begegnet ihm auf Schritt und Tritt, in der Werbegraphik, als Zeitschriften- und Buchschmuck, in der Raum- und Schaufenstergestaltung, auf Abendkleidern, Badeanzügen oder Krawatten wuchernd.“

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Stil der Jugend und Stil der Zeitschrift „Jugend“, zwei Begriffe aus der Jahrhundertwende, sind in einigen Künstlern mit wuchernder Phantasie entstanden. Diese Kunst, von vielen Zeitgenossen nicht ernst genommen, wurde auch in der Folgezeit von vielen belächelt oder einfach übersehen, bis wir eines Tages die verblüffende Entdeckung machen konnten, daß Jugendstil plötzlich Kunst war. „Zum zweiten Mal ist der Jugendstil in die Hauptstädte der westlichen Welt eingezogen. Hier ist er, was er bereits einmal war: eine künstlerische Strömung, ein Dekorationsstil, eine Mode und zum Teil auch eine Geschmacksentgleisung. Man begegnet ihm auf Schritt und Tritt, in der Werbegraphik, als Zeitschriften- und Buchschmuck, in der Raum- und Schaufenstergestaltung, auf Abendkleidern, Badeanzügen oder Krawatten wuchernd.“

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München als Nährboden dieser üppigen Stilrichtung und, man ist fast versucht zu sagen, als Weltanschauung hat in der Villa Franz von Stucks ein einzigartiges Jugendstilmuseum geschaffen, das am 9. März 1968 eröffnet werden konnte. Der Stuck-Jugendstil-Verein konnte schon einige wichtige Ausstellungen durchführen.

Der Verein zeigt in Verbindung mit der Stadtbibliothek München gegenwärtig die Ausstellung „Jugendstil — Illustration in München“, die selbst im galerie- und ausstellungsreichen München gewiß ein Ereignis bedeutet und Publikum mit den verschiedensten Interessen anziehen wird.

Es ging damals gegen eine etablierte Gesellschaft, gegen eine bestimmte Art des Bürgertums. Wenn damals die Jugend dagegen rebellierte, so hatte sie ein Programm aufzuweisen: Sie hatte Phantasie und Kraft, Neues zu formen. Neue Gedanken nahmen Einfluß auf die Gesellschaft, sie bemächtigten sich der Sitten des Alltags, schufen eine neue Baugesinnung, eine Änderung der Anschauung von Wohnung, Hausrat. Eine solche neue Formung des Lebensausdrucks und der Lebensweise ist in diesem Maße nie mehr aufgetreten. An der Entstehung dieser revolutionierenden Ideen hat die Zeitschrift „Jugend“, Anfang Jänner 1896 in München begründet, wohl den verdienstvollsten Anteil. Die „Hamburger Nachrichten“ urteilten: „Die Münchner ,Jugend' hat sich in der kurzen Zeit ihres Bestehens den Erdball erobert. Sie hat alle Eigenschaften eines Eroberers: Geist und Stärke, kecken Wagemut und eine göttliche Frechheit; sie schlägt auf die dicken Köpfe der Philister, sie dreht der zopfigen Gelehrtheit und dem akademischen Pathos eine gewaltige Nase; sie lacht und spottet über die Intoleranten der Kunst und des Lebens; sie streut die Knallerbsen ihres Witzes auf die ehrwürdigen Glatzen pedantischer Kleingeister.“

Die Vielseitigkeit der „Jugend“ übertraf bei weitem den nur einige Monate später geborenen „Simplicissi-mus“; bei diesem blieb es bei Standardthemen und Standardtypen. „Woche für Woche wurde zu ziemlich die gleiche Suppe gekocht.“ Schon um 1900 war er zu einem Denkmal geworden, das man jede Woche besichtigen mußte, um sich ärgern zu können.

Trotz seiner Universalität — der Jugendstil eroberte sich auch das

Kunstgewerbe, die Innenarchitektur, die Illustration, den Buchschmuck und die Typographie — konnte er bleibende Erfolge nur in der Buchkultur erringen. Kunstschaffende griffen jedoch immer wieder auf Ideen des Jugendstils zurück, denn diese waren so reich und übersprühend, daß man allein mit einer Untersuchung der Ornamentik Bände füllen könnte. Nicht zu vergessen sind auch die Auswirkungen auf die Gebrauchsgraphik; hatten Plakate ursprünglich nichts mit Kunst zu tun, so wurden sie neben ihrer Aufgabe als Werbemittel zu einem künstlerischen Anliegen.

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Waren auch einige der großen Jugendstilmeister Münchener und Bayern, so ist es doch sehr auffallend, daß sich viele Nichtbayern und Ausländer an diesem Programm der Jahrhundertwende beteiligten. Sie kämen und manche gingen bald wieder, hinterließen aber Werke, die heute als Münchener Jugendstil in die Kunst- und Kulturgeschichte eingegangen sind. So kamen der Gründer und Herausgeber der „Jugend“, Georg Hirth, aus Gräfentonna bei Gotha, der große Th. Th. Heine aus Leipzig, Pankok aus Münster, Bruno Paul aus der Lausitz, Emil Preeto-rius aus Mainz, Arpad Schmidhom-mer aus St. Joachimsthal in Böhmen, Olaf Gulbransson aus Oslo.

Der Begriff vom „schönen“ Buch, von England ausgehend, wurde in der Folgezeit vor allem in München gepflegt. R. Piper, Albert Langen und Georg Müller waren gediegene Repräsentanten erlesener Buchkultur.

Rudolf Hemmerle

„Camino Real“ — 17 Jahre später

Williams „revisited“

Es ist wohl das anspruchsvollste Werk von Tennessee William, welches das Vivian-Beaumont-Theatre (New York) in einer farbenfreudigen Inszenierung neu herausgebracht hat Es hat sich nun deutlich erwiesen, wie weit dieser bedeutende amerikanische Dramatiker seiner Zeit voraus war und wie sehr sich Kritik und Publikum in den letzten 17 Jahren geändert haben. Die scheinbar unlösbaren theatermäßigen und menschlichen Probleme von damals sind heute keine mehr. Symbolik erschreckt nicht mehr, mechanisierte Handlung wird nicht mehr verlangt. Dieses Stück war der erste Versuch (ein verfrühter), für die amerikanische Bühne ein Werk des Totalen Theaters zu schaffen: Ein Werk aus Poesie, Musik, Tanz, Pantomime, Symbolik und der alten Form der Maske, die Williams hier im mexikanischen Gewand Dringt. „Camino Real“ ist ein Wortspiel. Auf Spanisch bedeutet es „Königlicher Weg“ — doch bedeutet das Wort Real auf Englisch die zumeist recht unkönigliche Wirklichkeit. Die Handlung: Ein Inferno der Hoffnungslosigkeit in einigen an einer Kette aufgereihten Szenen. Hier vegetieren nur Verdammte unter der Fuchtel des Hotelier Gutman (von Victor Buono wirkungsvoll verkörpert). Er ist vielleicht ein südamerikanischer Diktator — oder Luzifer? Seine getreuen Helfer sind zwei als Straßenreiniger gekleidete Todesengel. Figuren der Weltliteratur, selbst Symbole, setzen sich mit dem ihrer harrenden Schicksal auseinander.

Das Spiel beginnt mit Don Quichotte, den Sancho Pansa verläßt — der aber weiterhin nach Kämpfen gegen neue Windmühlen sucht. Camino Real wird sein Alptraum, eine südamerikanische Walpurgisnacht; und am Camino Real verlor Casanova seine Unwiderstehlichkeit (Jean-Pierre Aumont spielt ihn charmant mit einem Anflug von Melancholie). Und von hier zieht Lord Byron zum Freiheitskampf nach Griechenland (Clifford Davis holt sich einen eigenen Bühnenapplaus auf offener Szene). Ein Stück Dialog zur Erläuterung des Stückes: „Unsere Waffe der Verteidigung in bezug auf die Menschheit, ist nur das Mißtrauen“ — so sagt Marguerite Gautier... und Casanova entgegnet ihr: „Unsere Waffe ist die Liebe.“ Es ist wohl die Essenz dessen, was Tennessee Williams sagen will und was er sowohl uns wie den kommenden Generationen zu sagen hat.

Mit Milton Katselas Regie, in dem höchst wirkungsvollen Bühnenbild von Peter Wexler, der Musik von Bernardo Segall werden Williams' Absichten wirkungsvoll unterstützt Trudy Goth

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