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Das dunkle Leben

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New York, im April

Williams' bisheriges Bühnenwerk, das auch in Oesterreich Aufsehen erregte, von der „Glasmenagerie“ und „Endstation Sehnsucht“ über „Sommer und Rauch“ zur „Tätowierten Rose“, ist bestimmt von einer äußerst verdichteten Atmosphäre und einem starken Symbolgehalt. Williams' neuestes Werk, das Spuren seines neulichen Mexikoaufenthaltes verrät, darf als eine letzte Steigerung und Zusammenfassung seiner bisherigen dramatischen Bemühungen bezeichnet werden. Williams unternimmt den großangelegten Versuch, ein Panorama der Menschheit, der Welt und des Lebens zu zeichnen. Der genaue Titel des Werkes heißt „Sixteen Blocks on the Camino Real“ und gibt das Leitmotiv an: Wir werden der Hauptstraße des Lebens entlanggeführt, von einer der sechzehn Straßenecken zur anderen, bis ans Ende der Straße, die immer wieder in denselben Platz einmündet, den das Bühnenbild darstellt. Dieser Schauplatz der Handlung, auf dem sich das grausame Spiel des Lebens, der Jahrmarkt unserer Eitelkeiten und Schwächen abspielt, ist seinerseits sinnbildlich auszudeuten. Linkerhand steht ein Freudenhaus, in dessen Untergeschoß sich eine Pfandleihanstalt befindet; zur Rechten erhebt sich ein Hotel mit helleuchtenden Fenstern, vornehmen Gästen und viel falschem Glanz. Im Hintergrund dräut die schwarze Höhle der Elends Wohnungen der eingeborenen Bevölkerung, während daneben eine lange Treppe steil zu einem offenen Tor ansteigt, hinter dessen Bogen sich die Wüste ausdehnt mit ihrer trostlosen Oede und Einsamkeit. Dieses Tor ist aber, wie sich herausstellen wird, gleichzeitig der einzige Ausweg aus der vermodernden Welt des Camino Real: durch die verlassene Wüste führt der Weg in die Unendlichkeit.

In diese Welt spanisch-lateinischen Kolorits, die die unsere ist und gleichzeitig in sich immanent alle bisherigen Welten enthält, verirrt sich der junge Kilroy, ein früherer Preisboxer und typischer Durchschnittsamerikaner. Er begegnet hier gleichsam einer Delegation der ganzen Menschheit: Abenteurern und armen Teufeln, großen Liebenden und Dirnen, Geschäftsleuten und Kleinbürgern, Wahrsagern, Gaunern und Dichtern. i\uf dem Hauptplatz des Camino Real treffen sich diese Gestalten, die nicht so sehr lebende Personen als allegorische Figuren sind, sie lügen und lieben, handeln und betrügen, hoffen und verzweifeln, zeugen und töten, leben und sterben. Die ganze Szene ist in ein stetes Zwielicht der Irrealität gehüllt, merkwürdige Geräusche und Laute verstärken diesen Eindruck in dem barock anmutenden Gemälde. Wie von Geisterhand eines unsichtbaren Marionettenspielers gelenkt bewegen sich die Figuren. Staatspolizisten in der grauen Uniform der Anonymität gehen um, die von ihnen niedergeknallten Unbekannten werden von den als Straßenkehrer verkleideten Todesengeln weggeschafft. Hier fühlen wir uns an Jean Cocteaus Engel des Todes erinnert, die als Motorradfahrer durch seinen „Orphee“-Film brausen. Aber Williams' Welt ist viel düsterer, das ganze Dasein ist zutiefst geprägt von Hoffnungslosigkeit. Camino Real ist eine tödliche Insel der Verzweiflung, auf der die Menschen als Gefangene des Schicksals unrettbar zum Bleiben und Untergang verdammt sind. Sie verfehlen das zufällig gelandete Kursflugzeug „Fugitive“ und sie vegetieren weiter dahin. Symbol des frucht- und sinnlosen Lebens ist die Clownmaske mit einer Leuchtnase, in die Kilroy gezwungen wird. Als er dieser Verkleidung entflieht und die Treppe emporeilt, aus dieser Welt zu flüchten und bereit, das Abenteuer der Wüstendurchquerung zu bestehen, wird er in Bann geschlagen durch den Tanz der blonden Dirne; er versinkt im Taumel der Sexualität und wird schließlich ebenfalls das Opfer der todbringenden Straßenwischer. Aber nicht nur dieser Junge unserer Generation ist ein hoffnungslos Verlorener. Auch die legendären Figuren Casanovas und der strahlenden Kameliendame vermögen vor dem Schicksal nicht zu bestehen. Von den Höhen der reinen und wirklichen Liebe stürzen beide hinab; geschändet versinkt die ehemals selbstlos Liebende im Sumpf menschlicher Niederungen und Casanova, zum König der gehörnten Männer gekrönt, steht in erschütternder Einsamkeit da mit seinem Koffer voll zerbrechlicher Erinnerungen. Zwei Figuren vermögen diesem Hexensabbat des Lebens zu entrinnen. Der Dichter Byron beschwört in einer pathetischen Vision die Verbrennung Shelleys und geht dann durch das Tor in die Wüste ab, unterwegs zur Unsterblichkeit. Die andere Figur ist Don Quijote, der den toten Kilroy aus dieser Welt der ausweglosen Endlichkeit wegführt. Aber obschon das Erscheinen des edlen Ritters den versiegten Brunnen wieder rauschen läßt, geht das Stück in dunkler Verzweiflung aus. i ■ -

Der Dichter selber bekannte: „Mein Stück gibt nichts mehr und nichts weniger als meine Auffassung der Zeit und Welt, in der ich lebe, und meine Personen sind meistens Archetypen gewisser fundamentaler Haltungen und Eigenschaften.“ Das Bild der Menschheit, das uns Williams entwirft, ist hoffnungslos und pessimistisch. Es spiegelt nicht nur die Desorientierung unserer Zeit und unser unbeholfenes Suchen nach einem Ausweg, unser Dasein im Zeichen der Furcht — hierin erinnert das Stück an Kafkas „Schloß“ und den „Prozeß“ und an Sartres „Huit-CIos“ und „Les Jeux sont faits“ —, sondern auch die Vergangenheit versagt vor dem Forum der Ewigkeit. Der Jahrmarkt unseres Lebens löst sich auf in einen alles mitreißenden Totentanz.

Williams' Stück mutet an wie ein Traum, der Körperlichkeit gewonnen hat und in welchem Schein und Sein ineinanderfließen. Der Autor gestand selber: „Es war mein Wunsch, meinem Publikum mein eigenes Gefühl zu geben von etwas Wildem und Unbegrenztem, das wie Wasser in den Bergen daherrauscht oder wie Wolken ist, die stets neue Formen annehmen in einem Sturm, oder von etwas, das sich unaufhörlich auflöst und umformt wie die Bilder eines Traumes.“ Etwas von der; Zerrissenheit fliegender Wolken ist d,enn diesem Stück eigen, das in seiner Dramaturgie, öfter an Wilders „Eine kleine Stadt“ erinnert, nicht zuletzt durch die Einbeziehung des Zuschauerraumes in das Geschehen und die Gestalt ; eines Ansagers. Daß trotz der diskontinuierlichen Züge das Werk nicht auseinanderfäljt, ist auf die ungemein dichte poetische Atmosphäre zurückzuführen, der sich kein Zuschauer zu entziehen vermag. In Elia K a z a n fand Tennesse Williams den idealen Interpreten seiner Absichten. Kazan, heute wohl der führende Theaterregisseur Amerikas, inszenierte dieses Spiel von Leben und Tod in der ganzen Vielfalt eines spanisch gefärbten Barocks und wußte die Zahlreichen Darsteller zu einer hinreißenden geschlossenen Ensembleleistung zu vereinigen. Es besteht für uns kein Zweifel,- daß Tennesse Williams' „Camino Real“ das bedeutendste Werk der diesjährigen Theatersaison ist.

Als Nachspiel muß unbedingt die merkwürdige Reaktion der New-Yorker Kritik erwähnt werden. Abgesehen von Brooks Atkinson von der „New York Times“, der sich zustimmend äußerte, verhielten sich die Kritiker äußerst ablehnend, geradezu ungehalten. Eine seltsame Verstörtheit war sichtlich. Man warf dem Autor vor, sein Werk sei unecht, eine intellektuelle Konstruktion, seine Symbole seien unklar (in Wirklichkeit sind sie oft nur allzu klar) und überhaupt sei das Leben völlig anders, das wirkliche Leben nämlich. Hier glauben wir einen der tieferen Gründe für die negative Haltung der New-Yorker Kritik zu erkennen: Die amerikanische Lebensphilosophie ist beseelt von, einem deutlichen Fortschrittsglauben, von einem zukunftsgerichteten Optimismus. Dem Europäer fällt hier beispielsweise auf, wie beharrlich der Tod in Amerika ignoriert, ja negiert wird. Tennesse Williams' Schauspiel aber ist eine „Piece Noire“, es zeigt die Welt in düsteren Farbton und dämpft die pionierhafte Lebensbejahung. Dieses „Memento mori“, ist in Aroerika unerwünscht. Der Amerikaner hat sich für die Sonnenseite des Lebensentschieden und läßt sich seine Sonne nicht gern durch schwarze Wolken verdüstern.

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