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Psychedelische Kunst der 1960er Jahre in der Kunsthalle Wien.

Es gehört zu den schwierigsten Unterfangen, die Zeiten überdauernd festzustellen, wer als verrückt eingestuft werden kann und wer nicht. Diejenigen, die vorgestern noch treffsicher mit diesem Attribut ausgestattet wurden, bilden heute jene meinungsbildende Gruppe, die die Standards für Normalheit vorgibt. Jene von vorvorgestern, die wir aus heutiger Perspektive als verrückt einstufen, weil sie zum Beispiel an das äsende Kalb am Mond glaubten, waren zu ihren Zeiten keine Absonderlinge. Wie sieht dann unser heutiger Blick auf einige "Verrückte" aus, die vor ungefähr vierzig Jahren begannen, die Welt zu verändern. Die Kunsthalle bietet jenseits dieser peinlichen Frage überhaupt erst einmal die Möglichkeit, diesen Blick auf eine repräsentative Auswahl zu werfen.

"Verrückte" Veränderung

Es war die Zeit, als Krieg und Liebe unmittelbar aufeinander prallten. Also wie heute. Es war die Zeit, als einige sich radikal der Liebe verschrieben, wenngleich einer eigenwilligen Liebe. Einer Liebe, die zwar in der Entgrenzung der Individuen alle und alles umarmen wollte; aber es war eine künstliche Liebe, eine tolle Liebe, die an den tollen Menschen gemahnt, der am helllichten Tag mit der Laterne suchend auf dem Marktplatz umherirrt.

Die Entgrenzung verdankten die Menschen dem Wunderstoff lsd, sie traten damit in jene Reihe an Bewusstseinserweiterern ein, die bis in die Urgeschichte der Menschheit zurückreicht. Dieser tolle, weil verrückte Zustand ließ aus den Menschen tolle, weil faszinierende Artefakte entspringen. Die blendende Farbenpracht ließ und lässt den Alltag fahl aussehen. Die Formen zerbersten ihre Vorgaben in der Natur und entwinden sich stets aufs Neue in fröhliche Ornamente. Und Form und Farbe machen vor nichts Halt, sie verlassen das Tafelbild, überziehen Hauswände, Autos, Plakate, Plattenhüllen, Möbelstücke, Zeitschriften, usw.

Die Zusammenstellung in der Kunsthalle bietet zunächst eine Landkarte der damaligen Subkulturen, die Geschichte geschrieben haben. Eine Fülle an dokumentarischem Material stellt die Szenen in San Francisco, London, New York und Frankfurt vor, ergänzt durch österreichische Beispiele. Eine breite Palette an Magazinen aus der Untergrundpresse, die damals eine alternative Form der Kommunikation etablierte, gibt den Blick frei auf eine Zeit, die sich in einem moralischen und politischen Aufruhr befand. Nicht nur geleitet vom Über-Ich, sondern ebenso sehr vom Außer-Sich, ereignet sich in dieser ethischen Krisenzeit ein außerordentlicher Kreativitätsschub, wie man ihn an der grafischen Gestaltung ablesen kann. Die Kunst und die Moral in seltener Eintracht.

Über-Ich und Außer-Ich

Aber für diese Eintracht mussten die Leute in die entsprechende Stimmung gebracht werden. Ein Mittel dazu waren Lichtshows und Filme, die nicht nur in überdimensionale Farbenmeere buchstäblich zerrannen, sondern die das Auge auch mit schnell wechselnden stroboskopischen Mustern stimulierten. Die gebotenen Muster überforderten die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit bei weitem und führten zu verzückungssartigen Zuständen. Wenn es gut ging; die Alternative waren epileptische Anfälle.

Diese hier gewählte Verquickung mit der religiösen Sprache ist nicht aufgesetzt, die Protagonisten selbst sahen dies so. Einige suchten eine "klassische" religiöse Ergänzung bei Gurus aus den fernöstlichen Religionen. Andere wieder, wie Al Hubbard etwa, gingen davon aus, dass lsd die wahre Eucharistie sei, die Gott geschenkt hatte, um der katholischen Kirche neues Leben einzuhauchen. Charles Manson galt als ein Personifikation der engen Verbindung zwischen lsd und Jesus Christus und Timothy Leary, einer der Hauptprotagonisten, bekannte: "Es war vor allem und fraglos die tiefste religiöse Erfahrung meines Lebens. Ich entdeckte, dass Schönheit, Erleuchtung, Sinnlichkeit, die zellulare Geschichte der Vergangenheit, Gott, der Teufel - alles in meinem Körper, außerhalb meines Bewusstseins war."

Betrachtet man dann die Kunstwerke, dann fällt unweigerlich auf, dass diese zum überwiegenden Teil erst nach diesen Verzückungserlebnissen entstanden sind. Wie die "klassischen" Mystiker haben auch die psychodelischen Künstler versucht, diese Erfahrungen in einen Kommunikationsprozess einzuspeisen. Dazu boten sich ausreichend Varianten an, von Sprachespielen, die in bunte Girlanden aus menschlichen Körpern verpackt sind und hierzulande an die eigen Tradition des Jugendstils erinnern, bis zu einer utopischen Architektur, die ebenso die neuen technischen Möglichkeiten und Einsichten aus Kybernetik und Weltraumforschung begierig in die eigene Produktion übernahm.

Genial gescheitert

Man wird schon zugeben müssen, das ganze Unterfangen in seiner Radikalität ist an seinen eigenen Ansprüchen und der falschen Entgrenzungsstrategie gescheitert. Trotzdem, wie immer man es jenseits jedes romantisch verklärenden Blickes drehen und wenden mag: es ist einfach toll.

Sommer of Love

Psychedelische Kunst der 60er Jahre

Kunsthalle Wien

Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 17. 9. tägl. 10-19, Do 10-22 Uhr

Katalog: Christoph Grunenberg (Hg.), Sommer of Love. Psychedelische Kunst der 60er Jahre, Ostfildern 2006

272 Seiten, E29,-

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