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Seltsame Kunst eines seltsamen Landes

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Titel und Untertitel des’ Werkes zeigen, daß dem Leser und Betrachter des Buches eine seltsame Zeitspanne europäischer Vergangenheit vorgestellt werden soll. Die meist ganzseitigen Bilder vergegenwärtigen an Hand von Kunstwerken die sich ablösenden, die sich überlagernden und ineinandergreifenden Kulturen vom fünften vorchristlichen Jahrhundert bis zum fünften nachchristlichen in dem einst von Cäsar eroberten und seit den Römern Gallien genannten Raum.

Zu Beginn des Buches durchwandert der Leser die geheimnisvoll umwitterte, wenig bekannte Frühkunst der in der Eisenzeit in dieses Gebiet eingewanderten Kelten. Ihre stark stilisierten, sogar im Kleinformat noch monumental wirkenden Metall- und Steinplastiken, ihre dem Gelände sicher angepaßten Höhlensiedlungen zeugen von einer mit der Natur magisch und gleichzeitig praktisch verbundenen, allerdings vorerst noch ländlichen Kultur. Im südlichen Siedlungsgebiet macht sich in dieser Kultur bald ein leiser Einfluß der- seefahrenden Griechen bemerkbar, die längs der Mittelmeerküste ihre Handelsniederlassungen gründen und mit den Ligurern, den Nachbarn der Etrusker, regen Austausch pflegen. In die Ebenen westlich davon sind dagegen über die Pyrenäen die Iberer gedrungen und vermischen ihrerseits ihre Kultur mit der vorhandenen. So ist das behandelte Gebiet früh ein wahrer Schmelztiegel der Völker.

Im zweiten Jahrhundert vor Christi erobern die Römer das Gebiet der heutigen Provence. Hundert Bilder, eine vielfältige Auswahl aus dem unübersehbaren Reichtum römischer Denkmäler, geben mit ihren Darstellungen’-.ganzer Stadtteile, einzelner Bauwerke, kunstreicher Skulpturen und Mosaiken einen deutlichen Begriff vom Ausmaß der lateinischen Zivilisation, die sich seit dem Einmarsch der Römer über ganz Gallien ausbreitete. Die gallo-römische Vermischung mit ihrer seltsamen, immer noch naturverbundenen Götterwelt, aber auch mit den Wirklichkeiten des täglichen Lebens, kommt in den originellen Darstellungen heimischer Künstler anschaulich zum Ausdruck.

Der letzte Abschnitt des Werkes ist mit mehr als 40 Bildern der hohen religiösen Kunst des Frühchristentums in Gallien gewidmet. Ergriffen sieht der Leser, wie die alten, absterbenden Formen des schon vom Untergang bedrohten Imperiums mit neuen Inhalten erfüllt werden und eine Spätblüte des römischen Stils herbeiführen.

Text und Bilderläuterungen des großen Werkes lassen hinter der erstaunlichen Vielfalt die tiefe geographische Einheit des Raumes, die Folgerichtigkeit des historischen Ablaufs verstehen. Gallien erscheint in seiner einmaligen Bedeutung: sein schmerzliches Schicksal macht es zum Boden kriegerischen. Zusammenpralls, sein hoher Auftrag läßt es zum Land der versöhnenden Begegnungen werden. Marcel Pobė, der Verfasser des Textes, und Jean Ro ubier, der Photograph, die schon 1955 zusammen das aufsehenerregende Werk „Gailia Ro- manica” herausgegeben haben, schufen ein neues Meisterwerk. Sie verleihen durch Wort und Bild dem Jahrtausend der Geschichte Galliens von der eisenzeitlichen Kultur der Kelten über Romanisierung und gallo-römische Zivilisation zum frühchristlichen Ausklang der Antike eine neue, gegenständliche Wirklichkeit. Der Text verbindet, als tragfeste Brücke, die auf den Pfeilern wohlfundierten Wissens ruht, in mächtigen Bogen über den Strom des historischen Geschehens hinweg, die wandelbaren Werke und die beständigen WeÄe der Menschenhand und des Menschengeistes. Die 259 ausgewählten Bilder führen den Leser-Betrachter dieses Buches durch die Geschichte dieses seltsamen und interessanten Landes während eines Jahrtausends, von 500 vor Christus bis 500 nach Christus, aus der heidnischen Götterwelt durch das Imperium des Cäsar-Pontifex in des einen Gottes Reich, das nicht mehr von dieser Welt ist und dennoch in irdischen Zeugnissen zu uns spricht.

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