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Vom Stammbuch und seiner Geschichte

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„Habent sua fata libelli." (Terentianus Maiuus, .Carmen heroicum".)

Ein Hauch von Romantik und Sentimentalität verbindet sich gewöhnlich mit dem Begriff des Stammbuches. Man denkt dahei unwillkürlich an ein Album mit Goldschnitt und Metallbeschlägen, das auf dem Einbanddeckel die Bezeichnung .Poesie“ trägt. Und doch liegt der Anfang dieser Bücher achteinhalb Jahrhunderte zurück und ist nicht in Damenhand zu sucheti, sondern in der eisenbewährten Faust tjostierender Ritter, die dem Jųrniervpgt ęin Geschlechts-, Stamm- oder Standesbuch ( iber genti- licius) verwiesen, um ihre Ritterbürtig- keit zu legitimieren und zum Kampfspiel zugelassen zu werden. Der Wunsch, die eigene ritterliche Lebensart durch berühmte Kampfgenossen bestätigen zu lassen, dm Erinnerung an gemeinsame Waffentaten und höfische Feste durch Eintragungen zu bewahren, führte zur Einfügung familienfremder Wappenzeichen in das Turnierbuch, und damit war bereits die Urform des heutigen Stammbuchs entstanden. Der Titel des Stammhuchs von Emeran Lerchenfelder mit Eintragungen aus den Jahren 1579 bis 1623 hält diese Entwicklungsstufe wörtlich fest: „Genealpgįae seu Amicitiae liher.“ Diese Freundschaftsalben oder ,Philotheken" — der Ausdruck erscheint zum ersten Male 1647 — hatten in ihrer Aufmachung bereits eine feststehende form erhalten. Die „Stammhuchweihe' nach dem eigentlichen Titelblatt war die gewöhnliche Bitte an alle Freunde und Gönner, die Eintragungen in einer bestimmten Form durchzuführen, „aine Hystory jUųminiern und malen zu lassen“, wie es zum Beispiel in einem Stammbuch des 16. Jahrhunderts heißt. Die Eintragung bestand gewöhnlich aus vier Teilen: dem Wappenschild, der Devise, dem Widmungsspruch und der Unterschrift. Die Devise, die meistens abbreviiert als Nebenbestandteil des Wappenbildes äufschien und oft heute kaum mehf zu entziffern ist (zum Beispiel T. D. M. C. = In Deo mea conso- latio), erhielt sich noch lange, nachdem herpits die Wappenzeichnungen außer Gebrauch gekommen waren. Noch im 18. Jahrhundert finden wir das stereotype „Symbolum“ neben der eigentlichen Widmung, wobei dem Schreiber kaum mehr zum Bewußtsein kommen mochte, was hiedurch symbolisiert werden sollte, ßriefmaler oder Illuministen, die in einer eįgepen Zunft zusammengeschlossen waren, besorgten an Orten der Geselligkeit den künstlerisch-bildhaften und zierschriftlichen Schmuck der Stammbücher. Unter diesen waren beispielsweise D a- vid de Necke r, Hans Weigl, Georg Mack und andere wegen ihrer Kunstfertigkeit herühmt und gesucht. Nach der Erfindung des Buchdrucks erschienen bereits vervielfältigte Schemen zum Kolorieren, wie etwa Jean de T o m m e s „Thesaurus Amicorum“ in Lyon im Jahre 1558.

Die zweite Phase der Entwicklung des Stammbuchs ist durch den Übergang der Sitte in bürgerliche Kreise, vor allem dgrch den Gebrauch in der Studentenschaft gekennzeichnet. Wieder war es ursprünglich ein recht nüchterner Zweck, der die Anfänge der Studentenstammbücher kennzeichnet: der Nachweis der Studien bei eįpem berühmten Gelehrten, der hiedurch bestätigt werden sollte, wie dies įn der Schülerszene im „Faust" treffend geschildert wird. Sehr häufig Verwendeten die Studenten zu ihren Sammlungen das durchschossene Exemplar eines I-ehrbuchs, wie zum Beispiel Christoph von Teuffenbach (1548 bis 1568), der seine Widmungen in Me- Ianchthons „Loci communes Theologici" Sammelte.

Ab dem 17. Jahrhundert wird die Stammbuchsitte in allen Bevölkerungs- s.cbiehten gemein- Adelige und Soldaten, RÜTger upd Studenten, Männer god Frauen hatten ihre „Denkmale der Freundschaft . Ja, in den Freundschafts- Widmungen, die zu eipem besonderen Gedenktag namhaften Menschen zukommen und im Gästehuch, der englisch- amerikanischen Abart der Philothek, hat sich eigentlich dįe Sitte bis in die Gegenwart erhalten. Goethe hat der Sammlung VQU Stammbüchern besondere Aufmerksamkeit zugewendet, und es gibt heute kaum eine größere wissenschaftliche Bibliothek, in der man die Erwerbung dieser eigenartigen Kulturdokumente nicht pflegt. London, Paris, Berlin, Leipzig, aber auch die Wiener Sammlungen haben ungemein interessante Exemplare aufzuweisen. Die meisten davon sind in handlichem Format zųm Mitführen auf Fahrten bestimmt, in Querquart, Oktav, Duodez und Sedez, in Leder-, Seidenader Samteinband mit Goldpressung oder Metall- ųnd Perlrautterąųflage, je nach dem Vermögensstaud des Besitzers oder dem Geschmack verschiedener Epochen- Von den alten Turnierbüchern mit „gemeinen Wappenbildern“ ist keines erhalten gehliehen. Wohl aber bewahrt die Wiener Stadtbibliothek dąs Turnierhuch eines spanischen Adeligen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, in dem der Besitzer seine Gegner im ritterlichen Kampfspiel aufgezeichnet hatte. Die meisten Stammbücher gehen kaum Über das Jahr 1540 zurück. Eine der interessantesten Widmungssammlungen ist die des Wieners Sebastian von Stamps mit farbenfreudigen Eintragungen von Offizieren und Beamten aus den Jąhren 1571 bis 1587. Reich an künstlerischer Ausstattung ist auch das Wappenbuch Philipp Jakob Damangs, des Generalquartiermeisters der „kayserlichen Armata zu Roß und zu Fueß". Neben den prunkvollen Wappenbildern wirkt die Einfachheit eines Blattes aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges besonders erschütternd. Kindlich unbeholfen hat hier der Eintragende, ein Herr K. von Weur (Weyr), einen Sarg gezeichnet und Ana stasius vpn Perg die bezeichnende Widmung hinzugefügt: Memento mori, ut discas vivere! (Denk an den Tod, damit du leben lernst.)

In der Form der Eintragungen hat die Phantasie der Schreiber im Laufe der Jahrhunderte alles geboten, was man hiezu nur zu ersinnen vermochte. Dįe reiche Ausstattung der sprechenden Wappen, worunter die des jungen Adels und des Bürgerfums oft sehr bizarre Formen annehmen, führte zu den eigentlichen

Bildern, die in Guachetechnik oder Sepiatönung, Federzeichnung oder Bleistiftskizze ausgeführt wurden. Bild, Wappen und Spruch laufen eine Zeitlang nebeneinander, werden jedoch bald im Barock von der allegorischen Darstellung abgelöst. Eine eigenartige Form düs Übergangs zur schmucklosen schriftlichen Eintragung bilden die Zeichnungen in Schriftkontur, wobei zum Beispiel der Umriß einer Blüte oder eines anderen Gegenstandes in feiner, kaum lesbarer Schrift gehildet wird und die einzelnen Teile wie Blütenblätter upd dergleichen jeweils einen Vers des Widmungs- Spruches ergeben. Für die Wiener Eintragungen ist überdies aüfh das musikalische Stąmmbuęhblatt charakteristisch, das im Gegensatz zu den Leipziger Arienbüchern meistens in einer eigenen Komposition besteht.

Einer beträchtlichen Zahl von Wissensgebieten können die Freundschaftsalben als Quelle dienen, der Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte, wie der Aus- drucksforschung und Graphologie. Je unmittelbarer und ungekünstelter die Sprüche zu Papier gebracht wurden, desto wertvoller ist das Ergebnis für die Forschung. Wer überdies nach dem Dichterwort Mörikes zu lesen versteht, „was unsichtbar dazwischengeht“, dem werden sich oft genug Persönlichkeitsbilder offenbaren, die ob ihrer Ursprünglichkeit wertvoller sind, als die umfänglicherer, wohlüberlegter biographischer Schilderungen.

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