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A unhamlich sdiwocha Ausklaung

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Der „Steirische Herbst 70“ endete steirisch — paradoxerweise mit einem steirischen Sommer. Dieser, mit Vornamen Harald, hatte nach obskuren Jugendjahren mit 33 ein Regiestudium begonnen, heuer kurze Zeit als Assistent im Grazer Schauspielhaus gearbeitet und war dort-selbst unlängst mit Hausverbot belegt worden. Damit ist aber auch schon die nötige Publicity für sein abendfüllendes Stück tyA unhamlich schtorka Obgaung“ und dessen Uraufführung gegeben. Die Fernsehkameras bemächtigten sich flugs eines potentiellen Premierenskandals, und der Regisseur Bernd Fischerauer beeilte sich — vielleicht infolge einer künstlerischen Potenzschwäche — sein Porno-Scherflein in Form von Strip-tease und der minutenlangen Exhibition eines splitternackten Schauspielers gegen etwa vorhandene Verklemmungen im Publikum beizusteuern. Und das noch dazu ganz ohne dramaturgische

Notwendigkeit; die Absicht des Regisseurs, mit der Sensations-masche ins Geschäft zu kommen, ist auch deshalb so penetrant, weil ihr kein künstlerisches Äquivalent gegenübersteht.

Das Stück selbst ist die stationenweise erzählte Geschichte einer Grazer Jugendlichen, einer Art weiblichen Woyzeck-Figur, die von der Notzüchtung im Kindesalter sich zum Fürsorgezögling, zur Diebin, Abtrei-berin und Prostituierten weiterentwickelt und schließlich zur Mörderin wird an denen, die an ihrem Schicksal Schuld tragen — den herzlosen Erwachsenen,- den Behörden und dem Freund, dem sie in liebender Hörigkeit verfallen ist. Es gibt hier ein paar Szenen, die in Erfindung und Text einiges versprechen — das ist aber auch alles. Noch dazu hat der Regisseur Fischerauer eines dieser Bilder — eine Simultanszene — in geradezu dilettantischer Unge-konntheit zu einem Laienspiel-

Tohuwabohu verstümmelt. Das Regiedebakel kann indes nicht verhehlen, daß es sich bei diesem „Obgaung“ um alles andere denn ein Meisterwerk handelt, das eben nur danebeninszeniert wurde. Viel mehr ist nicht da als eine allerdings genaue, bis in die dunkelsten Grazer Halb- und Unterweltbezirke stimmende Topographie (auch in phonetischer Hinsicht), die sich mit dem „0-Mensch“-Blick unserer siebziger Jahre zu allerlei übersteigerten sozialkritischen Aggressionen hinreißen läßt, letzten Endes aber doch eher wie die Auswertung eines Zettelkatalogs von Gehörtem und Erlebtem wirkt.

Anzengruberische Nachklänge sind dabei nicht zu überhören, das „Vierte Gebot“ macht sich nicht nur thematisch bemerkbar, so taucht auch vor dem Schluß — wie dort die Großmutter — hier prompt ein „Opa“ mit leicht propädeutischem Akzent auf. Uber den platt naturalistischen Schatten springt der Autor gegen Ende immer öfter: Da überdrehen sich die photographischen Milieubildchen ins Grotesk-Surreale, bis endlich ein silberlockiger Deus ex machina aus dem Schnürboden geschwebt kommt, um einerseits das arme Mädchen heimzuholen und gleichzeitig dem Verfasser aus der Verlegenheit zu helfen. Sieht man diesen Harald Sommer, so weiß man erst den Wolfgang Bauer und seine theatralische Imagination, aber auch seinen Humor zu schätzen. Der Protagonistin Ute Radkohl konnte eine so schwache Regie wie die Bernd Fischerauers nichts anhaben: Ihr Talent ist ebenso wie das der Gerti Poll (Mutter) durchaus bemerkenswert.

Zu einer der interessantesten Veranstaltungen im diesjährigen „Steirischen Herbst“ gehört die szenische Uraufführung der „Aventures & Nouvelles Aventures (s. „Furche“ Nr. 44).

Nicht sehr bedeutend waren zwei Einakter, die auf der Probenbühne uraufgeführt wurden. Der eine, „Evol“ von Pavel Kohout, ist eine recht zarte, fast bittere Liebesgeschichte, der — wie ich glaube — zu Unrecht politische Bedeutung unterlegt wurde, der andere, „SetbsttrtUtrO.“ von Herwig, Seeböa/c, stellt nichts anderes dar als einen dramatisierten Leserbrief, in dem der bekannte Schauspieler seine Übertreibungen abzureagieren sucht. Die Inszenierung lag in den Händen von Dr. Gerald Szyszkowitz, der im Verlauf der Streitigkeiten zwischen dem Autor Harald Sommer und der Theaterleitung nun bedauerlicherweise seinen „Obgaung“ als Chefdramaturg vorgenommen hat.

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