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Auf der Jagd nach dem Glauben

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Eine Mohammedanerin, die im Atheismus gelandet ist, ein Weltkind, das leidenschaftlich den irdischen Freuden ergeben war, schreibt in dem hier vorliegenden Tagebuch (1953—1955) seinen „Roman mit Gott“ nieder. Unm-el-Banine entstammt einer früher in Baku ansässigen muselmanischen Familie persischen Ursprungs und wurde nach der bolschewistischen Revolution 1917 als halbes Kind nach Paris verschlagen, wo sie jahrzehntelang das unruhige Leben so vieler Emigranten aus dem Osten führt.

„Wie viele Berufe habe ich nicht ausgeübt — ohne einen einzigen wirklich zu haben! Was bin ich nicht alles gewesen: Musiklehrerin, Russisch-lehrerin, Mannequin, Verkäuferin in der Haute Couture, Sekretärin, Übersetzerin, Schriftstellerin, Journalistin — und sogar Dame der Bourgeoisie von Toulouse.

Ich wollte Freigeist sein, und eine Leidenschaft — dumm oder erhaben, ich weiß es nicht mehr — hat mich verzehrt., .“

Diese Leidenschaft galt Ernst Jünger, dem Banine 1941 in Paris begegnet und über den sehr bittere und harte Dinge in diesem Tagebuch stehen. Man wird sie freilich, wenigstens teilweise, aus der Situation der Autorin verstehen müssen, die zehn Jahre lang an einer von Jünger nicht erwiderten Liebe krankte, einer verzehrenden Liebe, die sie an den Rand des Abgrunds trieb, in eine schier ausweglose Verzweiflung, Leere und Einsamkeit. Erfahrungen, die dann schließlich zum Ausgangspunkt einer neuen geistigen und geistlichen Entwicklung werden. Einer Entwicklung übrigens, gegen die Banine sich heftig sträubt, die sie verdächtigt als „letzte Chance“, als erbärmliches Ergebnis des „kritischen Alters“. Mehrmals fällt das böse Wort vom „Gott der Wechseljahre“ oder sie spricht von der „verdächtigen Reinheit der elften Stunde“. Und rückblickend heißt es dann später:

„Wie es mich wurmt, daf! ich erst im kritischen, in dem so berüchtigten Alter zu Christus gekommen bin! Das macht mir meine Bekehrung recht fragwürdig. Ich kann mich auch damit trösten, daf! ich sie der Enttäuschung zuschreibe, eine Erklärung, die in meinen Augen weniger beschämend ist: angewidert von der irdischen Liebe, und weil ich mich nur mit dem Absoluten zufriedengeben kann, wende ich mich der einzig wirklichen, übersinnlichen, unverletzlichen, unauslöschlichen usw. usw. Liebe zu, die nur von mir und Gott abhängt.“ Wie schwer macht diese Frau sich ihren neuen, nach anfänglichem Widerstand von ihr so heiß ersehnten Weg, der sie in die Hände des lebendigen Gottes führen wird. Wie ehrlich gibt sie sich Rechenschaft, wie bewußt argumentiert sie mit ihrem scharfen Verstand gegen „dieses FIcchtwerk von Unsinnigkeit, das der Katholizismus ist“. Schon längst im Bann der sie immer stärker ergreifenden Gestalt Christi, seiner Liebe und seines Erlösungswerkes, lehnt sie sich doch noch auf gegen die „antinatürliche“ veraltete, muffige christliche Moral, gegen die vielen Unzulänglichkeiten der Gläubigen und der Priester; vor allem auch gegen die Dogmen, die sie mit ihrer Vernunft nicht zu begreifen und anzuerkennen vermag. Ja selbst die Existenz Gottes ist ihr immer noch zweifelhaft, als sie längst gespürt hat, daß Er seine Hand auf sie gelegt hat, nachdem sie eine Veränderung ihrer Mentalität durch die Begegnung mit dem Christentum zugeben muß. Lange Zeit setzen Gott und der Zweifel ihr gleichermaßen zu.

„Ich besitze keinen Glauben, aber ich bete Christus an.

Ich besitze keinen Glauben, aber ich kann ohne Kirche nicht auskommen.

Ich besitze keinen Glauben, aber die einzige Lektüre, die mich interessiert, ist jene, die sich auf Ihn bezieht.

Ich besitze keinen Glauben, aber ich ersehne die Taufe.

Ich besitze keinen Glauben, aber ich verhalte mich, als besäße ich ihn.

Ist es unter solchen Umständen möglich, daß ich keinen Glauben besitze?

Ja, zweifellos...“ Erst die späte Begegnung mit dem Jesuiten Danielou führt Banine zu der rettenden Erkenntnis, daß sie „aus Vernunft mit ihrer Vernunft der Vernunft entsagen“ müsse.

„Es ist offensichtlich, daß ich mich auf Christus und nicht auf meine Vernunft verlassen muß. Nächste Woche werde ich zu meinem Benediktinerpater gehen und ihm sagen:, Da Christus gesagt hat, daß Er der Sohn Gottes ist, ist Er es'.“ Banines Weg zum christlichen Glauben ist so faszinierend, weil er die ganze Problematik des modernen Menschen widerspiegelt: seine Vernunft-g'äubigkeit, seine Selbstherrlichkeit, seine Ichbezogenheit und Kontaktunfähigkeit — lauter Dinge, die der unbefangenen Hingabe an Gott und die Mitmenschen im Wege stehen. Die Aufzeichnungen bestechen auch durch die unbedingte und immer originelle Auseinandersetzung mit den angeschnittenen Froblemen, durch die unkonventionellen, ganz und gar lebendigen Formulierungen, und nicht zuletzt durch die schonungslose Ehrlichkeit der Autorin sich selbst und ihrer Umwelt gegenüber. Dabei ist allerdings die Einschränkung zu machen, daß gerade ihre Ehrlichkeit Banine gelegentlich zur Enthüllung seelischer Intimitäten verführt, die ans Peinliche grenzt. Im ganzen aber unterscheidet sich ihr kluger und, nüchterner Bericht wohltuend von den üblichen erbaulich-salbungsvollen ■ Bekehrungsgeschichten, die mehr Unheil als Heil anrichten;

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