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Aus dem Blickwinkel des Grenzgängers

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Dieser Zaun ist die Grenze zwischen Geld und Armut" lehrt der Vater den jugendlichen Shane, als sie beide - arm und katholisch - beim reichen protestantischen Major Reil den Zaun reparieren. Der Junge hat ganz früh seine Mutter verloren und wird, nachdem er bei einer Rauferei fast ein Auge einbüßt, zum ängstlichen Außenseiter. Für die Kinder im Dorf ist er das Ziel von Spott und Aggressionen. Und er muß erfahren, daß die Erwachsenen ihm nicht zu Hilfe kommen: Hier überleben nur die Stärkeren, und wer sich nicht wehren kann, der hat eben Pech gehabt.

Der zarte, sensible Junge erlebt rundum Gewalt: Die Tante, die genüßlich und lautstark alle Insekten zertritt, die Tiere im Stall, die ihm ans Herz gewachsen sind und dem Schlächter übergeben werden, der „Narr" im Ort, der von den Kindern mit Steinen verletzt wird. Der brutalste Kinderbanden-Anführer zeigt seine Macht, indem er besonders gerne das zermalmt, „was beim Sterben Geräusche von sich gibt: Käfer, Frösche oder Schnecken und Lebewesen, die zu langsam waren, Stein, Knüppel oder Stiefel entkommen zu können." Irgendwann beschließt der Banden-führer, anstatt Kleinere und Schwächere zu quälen, doch lieber Steine nach Protestantenkindern zu werfen. Später wird Shane ihn als Polizisten wieder treffen.

Shane flüchtet sich in Bücher und in die Natur, und er schließt heimlich Freundschaft mit der Tochter des protestantischen Majors. Sie erklärt ihm, daß die Grenzen nur in den Köpfen der Menschen existieren, und erfährt sehr bald, daß dem nicht so ist: Ihre Familie verbietet ihr den Umgang mit Shane und steckt sie in ein Internat.

Viel später trifft er auch sie wieder. Er hat sein Heimatdorf verlassen, träumt von der Revolution der Armen und arbeitet in einem psychiatrischen Krankenhaus. Hier erlebt er Menschen, „deren Gedanken nicht zu der Welt ringsum passen". Man schreibt nun das Jahr 1969 und die ersten Toten im Nordirland-Konflikt beunruhigen die Weltpresse. Der Rruder seiner protestantischen Freundin, dem eine Rombe beide Reine abtrennt, ist einer davon. Er selbst verteilt revolutionäre Schriften und fürchtet bei Protestkundgebungen die ständig eskalierende Gewalt.

Während er von einer gerechteren Welt träumt, übt man rings um ihn nur noch Vergeltung. Er kann nicht verhindern, daß seine zarte Jugendliebe eine Rombe vor dem Versammlungssaal regionaler Politiker deponiert. Reim Versuch, Unbeteiligte zu warnen, wird er fast tödlich verletzt.

Der irische Autor, Patrick Quigley, erzählt aus'der Position des Grenzgängers zwischen den Lagern von den uralten sozialen Spannungen, die der Funke des religiösen Fanatismus zur Explosion bringt. Jene Gewaltbereitschaft wird deutlich, die nicht nur in Nordirland, sondern fast überall in der Welt „ in der Luft" liegt, wo die Gren -ze zwischen Arm und Reich zu schmerzlich spürbar wird. Er hat ein sprachlich hervorragendes, durch und durch sensibles, erschütterndes Ruch geschrieben, in dem Armut als ermüdend, hoffnungslos und damit politisch hochexplosiv spürbar wird.

GRENZLAND

Roman von Patrick Quigley. Übersetzung: Nicole Cyr und Peter Kleinhempel

Verlag Volk & Welt, Berlin 1996 )71 Seiten, geb., öS )06,-

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