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BEKENNTNIS

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Die Kritik des kürzlich in Rom uraufgeführten Fellini-Films, „8K“, ist uneinheitlich, wie es fast alle Kritiken über seine Filme sind. In einem aber stimmen die Zensoren überein: Der 150-Minuten-Streifen ist das vielfältig zerstückelte Produkt eines Meisters, der, ganz gleich, ob er wollte und nicht konnte, oder ob er konnte und nicht wollte, in seinem neuen Werk eine Vielzahl von Handlungen zusammengeflickt hat, die dem verblüfften Publikum auf den ersten Blick die Zusammenhänge verbargen, ja, es völlig irremachten.

Der Titel „S%“ soll Zeugnis für seine bisherige schöpferische Leistung als Regisseur und — sagen wir es ruhig — als bestimmender Filmgestalter sein. Achteinhalb Filme beansprucht er als sein eigen. Acht ganze und ein halber! Der halbe kündet seine Mitarbeit an dem Film „Boccaccio 70“, in dessen Herstellung sich vier Regisseure teilten. Richtig also wäre es gewesen, von „iY“ zu reden.

T“\er erst 43jährige Künstler hat darin ein abstrakt wirkendes Mosaik seines Lebens gegeben, ein in aufreizend bunten Farben schillerndes Leben, dessen einzelne Stationen willkürlich und in phantastischer Übertreibung übergangslos aneinander gereiht sind und beim atemlos schauenden und lauschenden Publikum zumindest einen Eindruck hinterlassen: den der völligen Ratlosigkeit. Denn die wohl bewußt in die Irre führenden Teilstrecken seines Weges bis zur Lebensmitte offenbaren uns einen die geistige Enge seiner Herkunft sprengenden kleinen Buben, dem die Erziehung im geistlichen Konvikt wenig frommt und der sich, wegen eigenmächtiger, die Disziplin verletzender Handlungen ausgestoßen, bald auf eigene Füße stellt. Durch viele Verwandlungen schlüpft er hindurch und folgt bald seiner angeborenen Begabung, die sich zwingend aufdrängt und ihn sein Glück beim Film finden läßt. Hier winkt ihm Erfolg und Lebensglück: Die achteinviertel Erfolgswerke beweisen es.

Bis auf den Höhepunkt seines Wirkens führt er die Millionen seiner Bewunderer, der wohl mit der Spitzenleistung „Das süße Leben“ erreicht ist. Und nun der neue Wurf! „t% — Fellini!“ — eine Selbstbespiegelung in allen Schattierungen. Die jäh und wirr aufeinanderfolgenden, aber nie auch nur durch Sekundenpausen abreißenden Ereignisse, alles Bruchstücke aus seinem Leben bis auf die heutigen Tage, jagen an Augen und Ohren der Teilnehmer vorbei und geben bei aller Verworrenheit der Darstellung ein getreues Abbild des Menschen und Künstlers. Er geht dabei schonungslos mit sich ins Gericht und erweist sich als kühner Jünger Jean Jacques Rousseaus, der mit seinen „Bekenntnissen“ das historisch vergleichbare Beispiel gab. Sein hemmungsloser „Bekennermut“ findet besonders in den letzten Szenen seines Werkes sichtbaren Niederschlag, wo ihm die nach ihm lechzenden Frauen zu Füßen liegen und sich ihm darbieten! Ähnlich wie im Film vom süßen Leben winkt den tief im Schmutz steckenden Menschen Reinigung und Heil von einer aus einem anderen Reich stammenden Frau, die, gleichsam als Idealbild, über ihnen schwebt und sie bekehren will, deren Kraft aber nicht ausreicht, um sie auf die von Gott gewollte Bahn zu führen.

So etwa verläuft das Schauspiel, das — trotz allem — in der Gestaltung der Szenen und in den hervorragenden Leistungen der 156 Darsteller die Meisterhand des einmaligen Federico Fellinis erkennen läßt und das auch in der technischen Gestaltung und Durchführung seinesgleichen sucht.

Eines nur vermißt der sachliche Kritiker und merkt es ungern an: Er vermißt die erneute schöpferische Bewährung des bis dahin zu ungeahnter Größe emporgestiegenen Filmgestalters, der in seinen früheren Filmen erregende und die menschlichen Leidenschaften tief aufwühlende Geschehnisse zu einem die Augen- und Ohrenzeugen erschütternden Handlung zusammenzufassen wußte und damit seinem Kunstwerk die ihm gebührende Weihe verlieh. Jedenfalls bleibt die Frage offen, ob ihm, wie in seiner neuen Schöpfung wiederholt von ihm bekundet, diesmal die Eingebung gefehlt oder ob ihn die Künstlerlaune und sein übermächtiges Geltungsbedürfnis zu dieser „Extratour“ getrieben hat.

Der neue Film soll den Produzenten Rizzoli (Mailand) eine Milliarde Lire (6,4 Millionen DM) gekostet haben. Jedes Risiko ist aber dank den Bestellungen aus dem Ausland, die ihm bislang zwei Milliarden Lire einbrachten, ausgeschaltet. Das Vertrauen der ausländischen Auftraggeber soll so groß sein, daß se die Aufführungsrechte vorbehaltlos — ohne jegliche vorherige Prüfung des Materials — erworben haben.

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