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Bis der Tod sie eint

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Leon Rivkin besaß eine bemerkenswerte lugend. Er war immer großzügig und ehrlich gegenüber arabischen Geschäftspartnern. Dieser Tugend verdankte er den arabischen Titel „El Zayed", „der Würdige", was ihm intimste Einblicke in arabische und türkische Machtintrigen verschaffte. [...] Er war Einkäufer einer der mächtigsten zionistischen Organisationen, die dem jüdischen Palästina zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verhalf, durch Landerwerb und Landerschließung. Diese Organisation, der „Jüdische Nationalfonds", war im Jahr 1901 gegründet worden, auf dem Fünften Zionistischen Kongreß in Basel. In einer seiner ersten Operationen finanzierte der Nationalfonds die Anpflanzung von 120 Millionen Bäumen auf Land, das Leon Bi-vkin und seine Kollegen von arabischen Großgrundbesitzern erworben hatten. Bi-vkm zahlte gute Preise. Und er trug stets große Geldbeträge bei sich, nebst einem riesigen Trommelrevolver, den er aber noch nie im Zorn abgefeuert hatte.

Im nachhinein bemächtigten sich die Geschichtenerzähler in den Baza-ren des Ereignisses und erdichteten dabei so viele ausschmückende Legenden, daß Bealität und Phantasie ineinander verschwammen wie Wasserfarben und die Antwort auf die Fragen der Historiker überwucherten, ob der Baubüberfall auf Leon Bi-vkin, den jüdischen Landkäufer, das auslösende Ereignis oder nur ein geringfügiger Beitrag zu jener Kette der Gewalt war, die von der Tötung eines Bäubers in Notwehr zum Blutrachemord an Babbi Eliezer Babinowicz, zur Frontenbildung zwischen Arabern und Juden und schließlich zum Untergrundkrieg führte. Daher blieb auch die Frage unbeantwortet, ob diese Blutfehde bloß als Lokalereignis zu werten sei, was sich alsbald als gravierender Fehler jener Leute in allen politischen und religiösen Lagern herausstellte, die das Menetekel nicht verstanden: die ottomanischen Herrscher nicht, weil es im beginnenden Zerfall ihres Großreiches gleichgültig schien, wie seine Erben miteinander verfahren würden; die Araber nicht, weil ihre nationale Befreiung ihnen unvergleichlich wichtiger war als die Existenz einer rassischen und religiösen Minderheit, die größtenteils aus osteuropäischen Einwanderern bestand; und auch die Juden nicht, weil sie Palästina als viertausendjähriges Erbe unter Gottes Schutz angetreten hatten. Im Vorfeld des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges hatten die Mächtigen Europas so gut wie keinerlei elementares Interesse an Palästinas potentiellen ethnischen und religiösen Krisenzustanden, wohl aber an seinem Territorium als geopolitische Erbmasse zwischen dem Persischen Golf, der Arabischen Halbinsel und dem Mittelmeer, galt es doch, die größte Schatzkammer der Welt auszubeuten. Die meisten Rohrleitungen für den Transport persischen und arabischen Erdöls würden, solange die Golfregion nicht erschlossen war, durch Palästina und seine Nachbarterritorien verlaufen.

Es war auch weder religiöse Uberzeugung noch politisches Wissen, sondern wohl bloße Habsucht, was Mar-wan al-Qatib und einen seiner Cousins, Nabil al-Qatib, an diesem Ham-sin-Tag Übles ersinnen ließ, als sie im Bazar hörten, daß Leon Bivkin, der jüdische Landkäufer, in Sakhnin erwartet wurde, wo der arabische Großgrundbesitzer, ein entfernter Onkel Marwans, Land zum Verkauf an die Juden anzubieten hatte, armes Land, bestehend aus steinigem Boden an steilen Hängen, von denen die Winterregen die dünne Decke des Erdreiches abgespült hatten, so daß die Hügel aussahen, als trügen sie riesige steinerne Brustpanzer.

Marwan und sein Cousin glaubten zu wissen, daß nur Juden so dumm sein konnten, diese wertlosen Hügel mit ihren Terrassenfeldern und uralten Olivenbäumen, deren Stämme und Geäst so aussahen, als seien sie im Todeskampf erstarrt, um viel Geld zu erwerben. Was Marwan und sein Cousin nicht wußten, war, daß die Juden damit strenggehütete Pläne verfolgten. Sie kauften alles Land, dessen sie habhaft werden konnten, nicht nur, um es nutzbar zu machen, sondern auch, um die Hügelketten im Westen, Osten und Süden Galiläas verteidigen zu können, wie das schon die Kreuzritter und ihre Gegner, die Heere des großen Sa-lah-ed-Din, getan hatten.

Leon Bivkin und seine ältliche Stute Gouvernante hatten stets harmoniert, hauptsächlich deshalb, weil sie es geflissentlich vermieden, einander Ungemach zu bereiten. [..,] Rivkin gab Gouvernante nie die Peitsche, und sie verfiel nie in eine ungestümere Gangart als gemächlichen Zuckeltrab. Dies gestattete Rivkin, lange Wegstunden in erholsamem Schlummer auf dem Kutschbock zu verbringen, ohne die Gefahr des Absturzes. Diese liebgewordene Gewohnheit wurde ihm an diesem Hamsin-Tag zum Verhängnis.

Bivkin hatte die Zügel locker um die Bremskurbel gewickelt und war sanft entschlummert, während Gouvernante sich zwischen den buckeligen Pflastersteinen aus der Römerzeit ihren Weg suchte. Sie hörten nicht die Hufschläge der im Galopp herannahenden Verfolger, bis diese beiderseits des Gefährts auftauchten. Einer der vermummten Räuber durchschnitt mit seinem Krummdolch die Stränge des Zaumzeuges, so daß es zum Stillstand kam und die Deichsel sich in den Boden bohrte. Der andere stieß Bivkin vom Fahrzeug und bemächtigte sich der Satteltaschen. Bivkin riß sich los und stürzte sich auf ihn, was für den Bäuber das Signal war, den In -halt der Satteltaschen auf den Boden zu schütten, weil sie offenbar das Bargeld enthielten, das die beiden Bäuber bei dem Landkäufer vermuteten. Daraufrief der Anführer des Duos sei -nem Kumpanen zu, er solle den Wagen durchsuchen. Er selbst riß Bivkin zu Boden, zückte seinen Krummdolch und ließ die Spitze über Bivkins Herz in die Haut eindringen.

Die Dolchspitze glitt immer tiefer zwischen Bivkins Rippen, bis dieser seine Arme befreien konnte und beide Daumen tief in die Augenhöhlen des Gegners versenkte. Der Räuber heulte auf, ließ den Dolch fallen, um seine Augen zu schützen, verlor das Gleichgewicht und rollte zur Seite. Rivkin ließ von ihm ab, sprang zurück und zog seinen Revolver aus dem Rückenteil seiner Geldkatze. Als der zweite Räuber die langläufige Waffe sah, stieß er einen Warnruf aus, hob seinen halbblinden Kumpan aufs Pferd und schwang sich selbst in den Sattel.

In diesem Augenblick beging Rivkin einen Fehler. Er feuerte seinen Revolver blindlings ab, Schuß um Schuß, bis die 'Trommel leer war. Einer der Bäuber stürzte vom Pferd. Der andere erhielt einen Streifschuß an der Schläfe, war jedoch kaltblütig genug, vom Pferd zu springen, den Schwerverwundeten über die Kruppe des Tieres zu legen und mit ihm da-vonzugaloppieren. Das Pferd fand instinktiv seinen Weg nach Sakhnin. Das Dorf war wie in schweigender Vorahnung erstarrt. Die Hufschläge hallten auf dem Kopfsteinpflaster. Der über der Kruppe des Pferdes liegende Bäuber hatte seine Keffiyah verloren. Es war Marwan al-Qatib. Aus seinem Mund sprudelte hellrotes Blut.

BIS DER TOD SIT EINT

Ein israelisch-palästinensischer Tatsachenroman Von Hans Benedict. Styria-Verlag, Graz 1997. 480 Seiten, öS 350,-

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