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Brillante Geschichte einer fortschreitenden Erniedrigung

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Gleich was er angreift, was er beginnt, was er fortsetzt, er scheitert. Ob er ein Paket schnüren will, ob er mit seiner Frau ins Bett geht, ob er seinem Freund eine Lektion erteilen möchte oder ob er einen Boman schreibt, er versagt. Richard Tüll, der Held in Martin Amis jüngstem Roman „Information” ist eben nur in einem konsequent: im Versagen.

Und warum? „Er brachte es nicht, weil er nicht harmlos genug war. Schriftsteller sind harmlos. Nicht schuldlos - harmlos. Tolstoi war gewiß harmlos. Sogar Proust war harmlos. Sogar Joyce war harmlos. Und noch eins er liebte seine Leser nicht, wie das sein muß. Obwohl er persönlich nichts gegen sie hatte, liebte er sie nicht, und man mußte sie lieben. Also war Richard in der Tat harmlos”. Das jedoch ist Fiktion, das schreibt Martin Amis, der englische Erfolgsschriftsteller, in seinem Roman.

Die Realität indes belehrt uns eines besseren, denn Amis ist keineswegs harmlos. Es wäre fast schon überflüssig, an seine schriftstellerische Herkunft zu erinnern, doch Information muß nicht immer nur Schaden anrichten. Der Wilde, der „bad boy” der englischen Literatur, der nicht selten die Feuilletonseiten des angelsächsischen Sprachraums reichlich mit Stoff versorgt, ist der Sohn des englischen Schriftstellers Kingsley Amis, der in den fünfziger Jahren als „angry young man” die Literaturszene auf der Insel erschütterte. Doch Martin Amis hat es in der Tat nicht nötig, auf seine I Ierkunft reduziert zu werden, hat er doch den Bekanntheitsgrad seines Vater längst erreicht Mit „Money” und „London Fields” seien nur zwei seiner erfolgreichen Boma-ne erwähnt. „Information” soll diesen nicht hinterherhinken.

Bichard Tull, der Protagonist, bringt bereits im Namen die besten Voraussetzungen für einen Antihel-den mit. Zum einen steckt „Tull” in intellektuell, zum anderen aber mag es auch an das englische Adjektiv

„dull” erinnern, was sich mit „dumpf” übersetzen läßt. Doch dumpf ist Richard keineswegs. Was jedoch diesem Attribut entspircht, ist der Weg seines Erfolgs. Während seine Romane, den Lesern alle möglichen Beschwerden verursachen, Kopfweh ist davon wohl nur als geringstes Übel anzusehen, schreitet sein ehemaliger Collegekollege Gwyn Barry lässig mit seinen offensichtlich belanglosen Romanen auf dem Weg des Erfolgs einher. Ob ihm seine reiche, adelige Frau dazu ver-holfen hat, mag man ruhig annehmen. Seine kitschigen Utopien werden zu Weltbestsellern, auch wenn sie mitunter, doch nur inoffiziell, als in einem „Schlappistil” geschriebene Schwarten abgetan werden.

Was Bichard bleibt, ist das Verfassen von Buchbesprechungen. Und das sind nicht wenige und auch noch Schriftstellerbiographien. „Dann setzte er sich an den Schreibtisch und zwang sich dazu, etwas Furchtbarem ins Gesicht zu sehen: den literarischen Biographien.”

Mag es sich auch bei „Information” um so etwas Ähnliches wie eine literarische Biographie handeln, ist diese jedoch Fiktion und zwar eine ersten Banges.

Eines von Tülls ungeschriebenen Projekten trägt den Titel „Die Geschichte der fortschreitenden Erniedrigung”. Doch braucht er sie nicht zu schreiben, das hat bereits sein Autor für ihn erledigt. Und zwar gnadenlos. Nicht genug damit, daß er ihn an chronischer Impotenz leiden läßt, reizt Amis das Versagen seines Protagonisten bis zu bitteren Neige aus. Nicht einmal einen Funken Erfolg gönnt er ihm.

Daß der Literaturbetrieb gar nicht soweit von der zwielichtigen Untergrundszene entfernt ist, verwundert dann auch nicht mehr. Als Bichard seinen erfolgreichen Freund einmal aus Bache etwas zusammenschlagen lassen will, wird er selbst erwischt.

Umso schlimmer ist es für Richard, daß sich am Ende alle gegen ihn verschworen haben. Nicht Gwyn Barry ist der Betrogene, der Geschlagene, sondern Richard selbst, denn seine

Frau betrügt ihn schon länger mit seinem erfolgreichen Freund, und das auf eine Wreise, die schmerzt.

Warum soll man also diesen fast sechshundert Seiten langen Wälzer lesen? Warum sich mit der Mißerfolgsgeschichte eines englischen Schriftstellers, der auch noch in der tiefsten Midlife-crises steckt, belasten? Zum einen, weil man sich eben nicht belastet, weil dieser Roman von Martin Amis ein Feuerwerk an Wortwitz versprüht, weil er ein Beispiel dafür ist, wie hochkarätige Literatur unterhaltsam und anspruchsvoll in einem sein kann, weil er eben nicht nur ein Bild des Literaturbetriebs zeichnet, sondern diesen zur Metapher macht, zur Metapher, wie es eben sein kann.

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