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Bürgerinitiative — aber wie?

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Immer häufiger gibt es Projekte, die auf den Widerstand der betroffenen Bevölkerung stoßen. Man will etwas dagegen unternehmen. Aber wie geht man vor? Ein Rechtsanwalt gibt Rat.

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Immer häufiger gibt es Projekte, die auf den Widerstand der betroffenen Bevölkerung stoßen. Man will etwas dagegen unternehmen. Aber wie geht man vor? Ein Rechtsanwalt gibt Rat.

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Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft es Sie. In dem ruhigen Dörfchen, das Sie seit Jahrzehnten bewohnen, wird eine Umfahrung geplant, die Ihnen einen ungehinderten Blick auf den Mittelstreifen einer Bundesstraße ermöglicht, das etwas verträumte Grätzl erhält statt eines Parks eine Parkgarage, der Bürgermeister der Landgemeinde träumt von Steuereinnahmen durch eine Müllverbrennungsanlage, der Blick auf einen idyllischen Bach soll durch eine Wurstfabrik angereichert werden, die Villengegend wird durch mehrstöckige Zinskasernen zugepflastert.

All dies hat Folgen. Für jene Nachbarn, die „die Sache hinunterschlucken”, aber auch für jene, die sich wehren. Wer weiß schon, wie man sich wehrt?

Beschaffen Sie sich alle Ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über das Projekt. Wenn Sie Partei des Verfahrens sind, haben Sie Recht auf Akteneinsicht.

Gemeinderäte oder Bürgermeister sollten ihren Wählern Auskunft über die anstehenden Projekte, deren Umfang und Auswirkungen geben. Wird Ihnen die Auskunft verweigert oder sind die Auskünfte offensichtlich unvollständig oder unrichtig, so ist Vorsicht geboten. Rechnen Sie in diesem Fall mit dem Schlimmsten ...

Fordern Sie in jedem Fall den Projektanten auf, Ihnen vollständige Aufklärung über die Art und Auswirkungen des Projektes zu geben. Werden nur widerwillig, verspätet, lückenhafte oder unzureichende Informationen weitergegeben, so können Sie sicher sein, daß Ihr Lebensraum, ja sogar Ihre Gesundheit womöglich ernsten Gefahren ausgesetzt werden soll.

Wiederholen Sie ihre Anfrage schriftlich, wenn Sie „abblitzen”...

Verständigen Sie mit den ersten Grobinformationen Ihre Nachbarn und alle jene, die sich in vergleichbarer Lage befinden. Machen Sie Kopien und geben Sie diese an Interessierte weiter ...

Kontaktieren Sie Umweltschutzorganisationen, Verbraucherverbände, Naturschutzvereine, Interessenvertretungen, politische Mandatare, kurz: alle, die vom Projekt und dessen Auswirkungen betroffen sind oder Ihnen durch Rat und Tat weiterhelfen können ...

Nichts ist umsonst. Sollten Sie nicht bloß vom olympischen Gedanken getragen sein und dem Motto frönen „Dabei sein, ist alles”, wird es notwendig sein, für die zu erwartenden Auslagen der Bürgerinitiative Vorsorge zu treffen. Es ist ein Spendenkonto einzurichten, Erlagscheine sind zu drucken und zu verteilen, die zu erwartenden Ausgaben sind zu budgetie-ren. Allein die Kosten für Porto, Papier und Kopien werden Ihre kühnsten Erwartungen übertreffen ...

Informieren Sie die Medien rechtzeitig von Ihrem Vorhandensein, von den Problemen des Projektes, den zu erwartenden Auswirkungen und den Stellungnahmen der Anrainer. Beachten Sie, daß Journalisten täglich eine Fülle von Informationen erhalten und nur die interessantesten und wichtigsten Nachrichten erscheinen können ...

Gehen Sie nicht davon aus, daß „eh schon alle alles wissen”. Die meisten l^eute haben kaum Erfahrung im Umgang mit Behörden oder Projektanten. Informieren Sie die Bürger über den Verfahrensablauf. Niemand muß sich fürchten, wenn er seine Anrainerrechte wahrnimmt. Das ist das gute Becht jedes Bürgers. Machen Sie die Anrainer darauf aufmerksam, wenn er einen eingeschriebenen Brief mit der Ladung zu einer Verhandlung des Projekts bekommt. Erklären Sie die jeweiligen Verfahrensschritte ...

Das Archiv ist das Gedächtnis der Bürgerinitiative. Wenn Politiker nach der Wahl partieller Gedächtnisschwund befällt, sollten Sie nachweisen können, was wem wann versprochen wurde. Wenn Sie den Mitgliedern über die tollen Erfolge der Initiative berichten wollen, wenn Sie die ordnungsgemäße Verwendung der Spenden nachweisen müssen, wenn Sie Erinnerungslücken vorbeugen wollen, wenn Sie rasch Informationen benötigen, dann hilft Ihnen ein Archiv.

Bereiten Sie Ihre Argumentation professionell vor. Dort, wo Alltagswissen nicht ausreicht oder formelle Aspekte zu berücksichtigen sind, engagieren Sie Profis ...

Vermeiden Sie Selbstüberschätzung nach ersten Anfangserfolgen. Oft sind Projektanten vom Widerstand gegen ihr Projekt zunächst überrascht und reagieren kopflos. Das legt sich. Rechnen Sie damit, daß Sie wahrscheinlich eine lange Strecke vor sich haben. Erwarten Sie einige harte Zwischenwertungen. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn die Gegenseite punktet. Abgerechnet wird am Ende.

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