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Dämonie und Realistik

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DIE TEILE UND DAS GANZE. Von Hans Flesch-Brunningen. Roman. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien-Hamburg. 371 Seiten, Leinen, S 150.—.

Dämonie und Realistik prägen gleicherweise Hans Flesoh-Brunningens tiefschürfenden Roman „Die Teile und das Ganze“, der weit mehr als eine landläufige Beschreibung und Schilderung eines mehr oder minder interessanten Geschehens ist, vielmehr erschließt dieser Roman eine Seelenlandschaft von bedeutenden Dimensionen; eine Seelenlandschaft, die so ungreifbar und so allein beengenden Gesetzen entrückt ist wie der Luster, der sich in Rilkes Spiegelgedicht in einen Sechzehnender verwandelt. Aber hier handelt es sich nicht um einen Spiegel, sondern um unzählige Splitter jenes metaphysischen Ganzen, dem Autor und Hauptperson nachjagen. Das sind eben die Teile — sie bestehen aus den verschiedenartigsten Episoden und Begegnungen —, die trotz oder vielleicht gerade wegen all ihrer Zwiespältigkeit immer wieder zu Kontrapunkten im Ablauf der Handlung werden. Da erzählt ein schwerkranker Mann, der Herr von Core-nos, das heißt: er diktiert seine Erinnerungen einem jungen Mädchen, dessen Mutter nie in Erscheinung tritt, aber von dem betagten Herrn um so glühender verehrt wird. Diese Unsichtbare ist sozusagen die Personifikation aller unerfüllten Wünsche, und gerade deshalb wandern die Gedanken Corenos stets aufs neue zu dieser Frauengestalt. Ja, sie stellt gewissermaßen das Ganze dar, das auszuschöpfen einen Menschen auf Erden nicht vergönnt ist. In diesem Zusammenhang stellt der vom Schicksal hart Geprüfte folgende Erwägungen an: „Die Seele lebt und Gott wirkt. Doch mit Gott, gleich berechtigt und gleich schuldig,

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ihr, neben ihr und durch sie, lebt der Leib. Dies sind die Teile.“ Nunmehr legt Corenos, auf seinem Krankenlager in England, seine Lebensbeichte ab, und dabei enthüllt sich, daß er als Fritz Flecker in Wien zur Welt kam, und zwar als Sohn eines getauften Juden. Im ersten Weltkrieg ist er Frontoffizier. In den folgenden Jahren schlägt er sich schlecht und recht durch, er begibt sich nach Berlin. Dort erlebt Corenos das Ende der Demokratie. Nun, da das infernalische Regime des Nationalsozialismus die grauenhaftesten Massenverbrechen begeht, erwacht in Corenos, der in Meditationen seine Vorfahren Revue passieren läßt, der Stolz, dem auserwählten Volk anzugehören. Deshalb erhebt er, von London aus, seine Stimme im Rundfunk. Er ruft zur Verteidigung der Freiheit und Menschlichkeit auf, bis zum Letzten setzt er sich ein für die Befreiung Europas, insbesondere Österreichs, von der Geißel des Faschismus. So kann Flesch-Brunnin-gens Roman, diese Apotheose der Menschlichkeit, auch als ein Appell zur Gewissenserforschung gelten, der vor allem an die Nachfahren jener schicksalshaften Epoche gerichtet ist.

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