Das invasive Tier: Marie Gamillschegs Roman „Aufruhr der Meerestiere“
Marie Gamillscheg schaut in ihrem Roman „Aufruhr der Meerestiere“ auf das Leben von Quallen ebenso wie auf die Zerrüttungen einer Familie.
Marie Gamillscheg schaut in ihrem Roman „Aufruhr der Meerestiere“ auf das Leben von Quallen ebenso wie auf die Zerrüttungen einer Familie.
Manchmal lernt man ja beim Lesen von Romanen auch etwas über die Natur. Ich zum Beispiel traf in Marie Gamillschegs Roman „Aufruhr der Meerestiere“ auf die Meerwalnuss, die keine Nuss ist, sondern eine Rippenqualle, die pro Tag 200 Liter Wasser filtrieren und 10.000 Eier legen kann. Man zählt sie zu den sogenannten „invasiven“ Arten, weil sie derart überhand nimmt, dass sie nicht nur andere Tierarten verdrängen, sondern auch Atomkraftwerke und Industrieanlagen verstopfen kann. Ein wahres Meeresungeheuer also, diese Schönheit.
Aber was heißt hier invasiv? Denn nicht die Qualle selbst hat ihre Heimat, den amerikanischen Atlantik, verlassen und ist in fremde Meere ausgewandert, sondern Frachter verschleppten sie im Ballastwasser ins Schwarze Meer – das freilich zur Zeit andere Schlagzeilen macht, Grund dafür sind kriegerische Menschen. Auslöser für das immense Verbreiten der Meerwalnuss war also der Mensch, der sich damit als das eigentlich „invasive“ Lebewesen geoutet hat.
Den Begriff „invasiv“ lehnt Luise, die Protagonistin des Romans, als Bezeichnung für die Meerwalnuss jedenfalls ab. Luise hat schon viel für ihre Karriere als Wissenschaftlerin geleistet; sie wird nun vom Institutsleiter nach Graz geschickt, um ein Projekt mit dem Zoo anzubahnen. „Wir sind ein Tierpark“, hört sie dort. „Wir haben einen pädagogischen und wissenschaftlichen Bildungsauftrag. Wir sind kein Vergnügungspark.“ (Ein nettes Beispiel für die Narration, die in Begriffen steckt, und für die Politik, wenn das eine – „Zoo“ – durch ein anderes – „Tierpark“ – ersetzt wird.)
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