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Das Wiener Ringelspiel

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„Wenn man einen ganzen Tag mit ansehen muß, mit welcher Hilflosigkeit, Leichtfertigkeit und Dummheit Politik getrieben wird, welch Raffinement, Energie, Erfindungsgabe, Scharfsinn und Ausdauer gleichzeitig aber verwendet werden, um dieses Land zugrunde zu richten, es zu zerstören, zu sprengen, dann ist man am Abend überzeugt: Es ist zu Ende. Dieses Land kann nicht weiter existieren. Finis Austriae! Schluß! Aus!“

Wer sagt so etwas? Ein Zyniker? Man mag ihn dafür halten, er ist ein Kenner der österreichischen Politik, die er aus nächster Nähe verfolgt. Und er ist vielleicht doch nicht so ein Zyniker, denn er setzte diese Feststellungen fort: „Und am nächsten Morgen geht die Sonne wieder auf, das Land lebt weiter. Trotzdem!" — Also vielleicht ein Romantiker, einer, der an die Irrationalität der österreichischen Existenz glaubt?

Wir nüchternen Betrachter der österreichischen Gegenwart können uns weniger an den Nachsatz halten. Die unzerstörbare, weil irrational begründete Existenz Österreichs ist eine Sache des Glaubens. Sehr wohl aber haben wir sehr begründete Ursache, uns an den Vor-Satz zu halten, in dem unser österreichischer Beobachter von dem Fleiß und heißen Bemühen so vieler spricht, dieses Land endlich einmal endgültig zu ruinieren.

Zu den österreichischen Einbildungen ist auch jene zu rechnen, daß alle Welt uns gern hat, daß alle Menschen uns verstehen, so wie wir angeblich alle Menschen verstehen. Nun, den Freund Österreichs gibt es nicht, der das verstehen könnte, was in den letzten Wochen in diesem Lande vorgegangen ist. Wer es nicht glaubt, möge es einmal versuchen, einem Nichtösterreicher zu erklären, warum der und der über diesen und jenen Weg gegen den und den das und das lanciert habe, obwohl er nicht und trotzdem aber in diesem Falle jedoch, mit dem, mit dem er sonst nicht usw. Er wird es bald aufgeben, es ist hoffnungslos. Wenn der andere, der ausländische Freund, uns sehr wohl will, wird er uns für „spaßige Leute“ halten, für Relikte einer prälogischen Zeit. Denn mit Logik, mit Vernunft und Überlegung, mit normalem Menschenverstand schien das Ganze überhaupt nichts zu tun zu haben.

Es war wie in einem Dschungel, als aus dem Gestrüpp privater und politischer Beziehungen, Sympathien und Antipathien, bald da, bald dort, ein Kopf auftauchte, immer maskiert und in immer wechselnder Verkleidung, wobei Person und Maske und oft auch beides in verkehrter Richtung wechselten, so daß man nicht wußte, ob nicht vielleicht unter der gleichen

Maske verschiedene Personen und unter verschiedenen Masken dieselbe Person steckten. Manche trugen als Maske sogar ihr eigenes Gesicht; das war das Tollste, da erkannte sie überhaupt niemand mehr. Alle aber trugen in der einen Hand ein Hackl oder eine Zündschnur, eine Plastikbombe, eine Brandfackel oder auch einen Dolch aus alter Zeit, bereit, sich auf den anderen zu stürzen, den in der fremden Maske, aber auch den in der eigenen Maske, denn der war bestimmt kein Freund. In der anderen Hand aber trugen sie einen Wasserkübel, um alles zu löschen, zu ersticken, zu dementieren, bereit, sogar die eigene Lunte darin zischend zu versenken, ja sich selbst von oben bis unten zu begießen, auf jeden Fall aber der Mutter Austria Unrat in die Stube zu tragen.

Aber wenden wir uns vielleicht einem näherliegenden, einem österreichischen Vergleich zu: dem ewigen Wiener Ringelspiel. War es nicht ein Ringelspiel, was wir in den letzten Wochen erlebten? Ein verrücktes Ringelspiel allerdings, das sich immer irrsinniger drehte. Was war da nicht alles auf dem Ringelspiel, Minister und ehemalige Minister, Dinamitardi mit geschwärzten Gesichtern, Journalisten mit kindlichem und weniger kindlichem Gemüt, Tiroler mit langen Bärten und Schweizer mit langen Leitungen, Rumpelstilzchen, Pechmarie, Pat- teihaseti und Parteihaserln. — Und das Ringelspiel drehte sich, und alles, was drauf war, drehte sich auch, aber in der Gegenrichtung und noch einmal um die eigene Achse. Hei, gab es da tolle Kombinationen. Wer mit wem in Konjunktur und wer zu wem in Opposition stand, wer wem das freundliche Gesicht und wem den Dolch im Gewände zukehrte, das kam ganz auf den Standpunkt und ganz auf den Zeitpunkt an, wobei die Fronten immer mehr quer durch die Parteien gehen. Es war eine österreichische Fastnacht im Hochsommer. So lustig es war, so war es doch nicht wieder so lustig, als daß man darüber vergessen könnte, was eigentlich das Wiener Ringelspiel, das sich gewohntermaßen gemächlich dahindreht, in so rasende Bewegung versetzte, wer die Schrauben lockerte in dem mechanischen Wundertheater österreichischer Politik oder die Fäden im Handpuppenspiel so heillos verwirrte. Nein, so lustig ist es nun eigentlich wieder nicht. Die Verzahnungen der österreichischen Innenpolitik, die Überschneidungen und Überdeckungen, die Verfilzungen im Wildwuchs des österreichischen Urwalds oder, wenn man es so haben will, die Kombinationen im österreichischen Kaleidoskop haben ein Ausmaß erreicht, das selbst den österreichischen Standard im Spurenverwischen und Fehlfarbanzeigen weit übersteigt.

Und wozu das alles? Die Österreicher machen sich gern selbst ein Theater vor, um des Theaters willen. Aber dieses Theater wurde vielleicht noch aus einem anderen Grund aufgeführt. Seit sechzehn Jahren wird dieses Land von einer Koalition regiert, für die immer wieder das Bild einer Ehe gebraucht wurde. Vielleicht war diese Ehe einmal eine vorbildliche Ehe, gegenwärtig ist sie dies gewiß nicht. Aber der, der weiß, wie wenig gute Ehen es in Wirklichkeit gibt, wird auch einer weniger guten Ehe die Existenzberechtigung nicht absprechen, zumal dann, wenn von dieser Ehe der Friede des Hauses, das Glück der Kinder, um im poetischen Bilde zu bleiben, abhängt. In einer guten Ehe, in einer guten Koalition werden alle gemeinsamen Dinge gemeinsam durchgesprochen und gemeinsam durchgeführt. Je schlechter die Ehe wird, um so mehr geht jeder seine eigenen Wege und nur über das gemeinsame Haushaltsbudget und über das gemeinsame Auftreten nach außen gibt es noch eine notdürftige Gemeinsamkeit. In dieser Situation befinden wir uns in Österreich. Damit aber soll es nun zu Ende gehen. Um das Budget wird ohnedies jedes Jahr erbittert gerauft. Sollte nun die gemeinsame Außenpolitik als letzte Klammer zerrissen werden? Es darf nichts mehr Gemeinsames in der Regierung geben, dann wird diese Koalition endlich einmal auseinanderbrechen. Darum der Maskentanz im Dschungel, darum das rasende Ringelspiel?

Fragen wir hier ganz schlicht: Wer hat ein Interesse daran, daß Österreich in die vor uns stehenden schweren Prüfungen — Südtirol, EWG- Assoziation sind nur zwei Chiffren dafür — zerrissen hineingeht? Wer hat ein Interesse daran, daß aus dem ständigen Streit in der Koalition ein Konflikt wird, der alles in Frage stellt, was seit 1945 aufgebaut wurde? Wer hat ein Interesse daran, daß alles das als total übel denunziert wird, was nach Hitler und nach der Aufhebung des Anschlusses für Österreich, für ein freies, unabhängiges Österreich geleistet wurde? Die Antwort ist so schlicht wie die Frage: die nicht unansehnlichen Feinde Österreichs im Innern und außen.

Ja, darum geht es also in diesem sommerlichen Fastnachtsspiel, darum, die letzte Gemeinsamkeit zu sprengen. Dafür scheint jedes Mittel recht. Es ist also doch eine ernstere und eine tragischere Angelegenheit, als es zuerst den Anschein hatte. Gewiß! Aber so ernst ist es nun wieder doch nicht, als daß wir Österreicher nicht unseren Spaß daran haben könnten, an dem Indianertanz im Dschungel und an dem rasenden Ringelspiel mit seinen tollen Kombinationen. Wie sagte unser österreichischer Beobachter, den wir anfangs zitierten: „Wer den ganzen Tag sieht, mit welch Leichtfertigkeit oft in diesem Land Politik getrieben wird, aber mit welch blindem Eifer es zugrunde zu richten versucht wird, der weiß am Abend, dieses Land kann nicht existieren." Aber, so setzte er fort: „Am nächsten Tag scheint wieder die Sonne, und dieses Land lebt weiter! Trotzdem!“

Es wäre schön, damit diese Betrachtung zu schließen. Vor wenigen Jahren hätten wir es auch getan. Heute können wir es nicht mehr tun. Manchmal fröstelt uns mitten in diesem Hochsommer in der Luft des österreichischen Dschungels. Und das Ringelspiel macht uns schwindlig. Es ist weit weniger lustig, als es den Anschein hat.b

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