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Demaskierung der Demaskierer

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PLÄDOYER FÜR DEN EINZELNEN. Kritische Beiträge zur literarischen Diskussion. Von Hans Egon Holthusen. Paperback-Ausgabe Im Verlag R. Piper, München. 294 Seiten. DM 13.80.

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PLÄDOYER FÜR DEN EINZELNEN. Kritische Beiträge zur literarischen Diskussion. Von Hans Egon Holthusen. Paperback-Ausgabe Im Verlag R. Piper, München. 294 Seiten. DM 13.80.

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Mit Ausnahme des ersten Essays „Poesie und Politik“ handelt es sich bei den in diesem Buch gesammelten Aufsätzen Holthusens um Publikationen aus der „Neuen Zürcher Zeitung“, der „Frankfurter Allgemeinen“, dem „Hochland“, dem „Merkur“, dem „Monat“ und anderen Periodica, deren intellektuelles Engagement von der Mitte nach rechts tendiert. Dies zur Orientierung, nicht zur Abstempelung. Denn man machte es sich doch zu leicht, wollte man ein Phänomen schöpferischer Kritik nach grobem Proporzraster einstufen und abtun.

Holthusen ist ja nicht zuletzt auf die zitierten Organe angewiesen, weil er sich den selten gewordenen Luxus ledstet, Buchbesprechungen von bis zu drei Dutzend Druckseiten Länge zu schreiben. Da lassen sich schon Analysen anstellen und ungeduldige Leser selektieren. Sprachästhetik gebietet sich fast von selbst. Die Frage ist in der weiteren Folge, ob sich der Publizist auf die Seite der konventionellen deutschen Literaturgeschichte schlagen oder ob er seine Funktion als Auftrag der Gesellschaft verstehen will. Holthusen hat sich für den soziologischen Aspekt entschieden und damit für den Literaturbetrieb. Vielleicht auch für die Mode. Er hat die Waffen des Gegners an- und aufgenommen. Er ist in die Arena gestiegen. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Sie enthält gleichzeitig auch die Meinung des Rezensenten, daß der Literaturkritiker der Gegenwart und noch mehr der Zukunft ein Soziologe sein wird. Denn nur auf der Ebene gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist moderne Literatur noch ganz zu verstehen, zu interpretieren und anzugreifen. Wo Karl Marx recht hat, da hat er auch für Nichtmarxisten recht.

Holthusen, der subtile Zyniker und gewandte Stilist, der Kulturphdlo-soph und Lyriker, hat nicht ohne Schmerz und Heimweh vom Dichter-stübchen Abschied genommen. Das merkt man zwischen den Zeilen. Er ist ausgezogen, um den Zurückgebliebenen zumindest das moralische Recht auf ein Reservat zu sichern. Er kämpft in der Gesellschaft gegen die Gesellschaft. Sympathien wird er erringen. Doch wer spricht von Siegen?

Der Kritiker hat es vor allem auf die Kritiker abgesehen. Auf Grass und Enzensberger, auf Hasselblatt und Hohoff, auf Andersen und die McCarthy. Es geht ihm dabei darum, die großen Demaskierer zu demaskieren. Er leiht sein geschliffenes Wort dem Protest des denkenden Zeitgenossen, der längst einen unartikulierten Unwillen gegen den Pamphletismus empfindet, der das Herz links und die Brieftasche rechts trägt. Er zieht zu Felde wider die im wohlhabenden Westen recht angenehm etablierte Protestliteratur und ihre Unehrlichkeit.

Die Dichter haben den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft ins öffentliche Bewußtsein gehoben. Sie haben damit dem Anruf der Stunde gehorcht. Solange das Individuum in der Defensive ist, werden sie weiter protestieren. Selbst um den Preis der Lebenslüge. Zu hoffen ist, daß sie über dem so dringenden Anruf der Stunde den Anruf der Ewigkeit nicht überhören.

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