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Denkmal für Visionäre
Neuen Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen, bedeutete schon immer einen dornigen Weg. Meist ernten jene, die es versuchen, weder Dank noch Anerkennung zu Lebzeiten. Ganz im Gegenteil: Oft begleiten gesellschaftliche Ächtung und sozialer Abstieg fast zwangsläufig wissenschaftliche, künstlerische und politische Vorkämpfer. Und nicht selten bleibt der Nachwelt nur ein kleiner Teil ihres Werks und ein verzerrtes Bild ihrer Persönlichkeit im Bewußtsein. Wenn überhaupt.
Der Journalist Rene Freund hat einige verkannte Genies der Jahrhun-derwende aus der Versenkung geholt und die Biographien bekannterer Träumer um vernachlässigte Facetten bereichert. Entstanden ist dabei ein originelles, kurzweiliges und doch sehr tiefsinniges Buch, dessen Autor einen klaren Standpunkt einnimmt: Er ist staunender Bewunderer von so viel Ideenreichtum, Sturheit, Verbissenheit, Sendungsbewußtsein - aber manchmal auch Blenderei.
Völlig gegensätzliche Schicksale finden sich in diesem Band. Etwa das des Skandalautors Leopold Sacher-Masoch, dessen Bedeutung als politischer Visionär und engagierter Humanist im Schatten seiner Schilderungen von „masochistischen" Beziehungsritualen verschwand. Er sprach bereits Ende des 19. Jahrhunderts von einem „gemeinsamen Europa mit gemeinsamer Gesetzgebung".
Bosa Mayreder sorgte als bürgerliche Vorkämpferin für Frauenrechte schon mit ihrem ersten öffentlichen Vortrag über Prostitution für einen Skandal. Als sie aus „Groll gegen das Mieder als Werkzeug der, Beschränkung" dieses abnahm, machten es ihr
viele Frauen nach. Den Trend zur Be-formkleidung kommentierte Karl Kraus zynisch: „Vom Beformkleid ist nur ein Schritt zu der Neuerung, daß die Frauen durch Kiemen atmen."
Florian Berndl, der anfangs gefeierte Gründer des Gänsehäufels, scheiterte später an der Wiener Bürokratie und ist mit seinen Sonnen-, Sand- und Wasserkuren sowie Regen- und Schneebädern fast vergessen.
Otto Groß, ein Schüler Freuds und radikaler Lebensreformer, der am Monte Verita im Tessin ein urkommunistisches Projekt verwirklichen wollte, wurde als mutmaßlicher Mörder gesucht.
Wilhelm Reich, dessen Schicksal wohl hinlänglich bekannt ist, und dem Wasserzauberer Viktor Schau-berger, dessen schummriges Schloß nahe Bad Ischl mit alten Labors und Versuchsdokumentationen bis heute von der Suche nach einer Lösung der Energieprobleme zeugt, sind ebenfalls Kapitel gewidmet. Die Gratwanderung zwischen „Größe und Größenwahn" - so der Untertitel - ist den vorgestellten Pionieren nicht immer einwandfrei gelungen, was für sie selbst mit finanziellen Nachteilen und gesellschaftlichem Außenseitertüfn verbunden war. Im nachhinein ist es für den Leser faszinierend. Schließlich gehört ein bißchen Größenwahn bis heute dazu, wenn man gegen bürokratische Mauern, gesellschaftliche Vorurteile und wissenschaftliche Engstirnigkeit neuen Ideen auf die Sprünge helfen will.
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