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Der Halbmond weht über Kanizsa...

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RABEN IM BLAUEN FELD. Eine Chronik über das Leben des Fürsten Hanns Ulrich von Eggenberg, Ton Walter Zitzenbacher. Leykam-Verlag, Gras. 355 Selten. Preis 120 S.

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RABEN IM BLAUEN FELD. Eine Chronik über das Leben des Fürsten Hanns Ulrich von Eggenberg, Ton Walter Zitzenbacher. Leykam-Verlag, Gras. 355 Selten. Preis 120 S.

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Es ist sehr erfreulich, eine Chronik über die Reformationszeit in der Steiermark vorgesetzt zu bekommen. Dieses Thema ist in letzter Zeit ein wenig stiefmütterlich behandelt worden. Genauer: Von einigen längst vergriffenen und meist ganz aus protestantischer oder katholischer Sicht geschriebenen Romanen abgesehen, scheinen österreichische Autoren vor der Reformation die Flucht ergriffen zu haben. Warum? Nicht, weil das Gebiet zu wenig „ausgibt“: im Gegenteil, für den schöpferischen Schriftsteller kann man sich kaum ein Thema vorstellen, das seiner Vielfältigkeit wegen eine größere Herausforderung bietet Einmal wären die soziologischen Aspekte zu behandeln und alle Gründe, die dazu geführt haben, daß sich die lutherische Lehre unter den Grubenarbeitern, unter den Bürgern, aber auch unter den Bauern wie ein Lauffeuer verbreitete. Vielleicht rührt die Vernachlässigung daher, daß die Gegenreformation in Österreich, im Vergleich zu manchen anderen Ländern, relativ sanft vor sich ging; deshalb war die Legendenbildung aus der Zeit spärlich, es gab wenige große Helden und kaum Märtyrer. Es gab auf beiden Seiten standhafte Männer und Frauen; unzählige, vor allem unter den höheren Schichten des Landes, wechselten ihre Religion wie das Hemd.

Im Aufstieg des Herrn von Eggenberg spielt die Religion allerdings keine besonders große Rolle. In seiner eiskalten Kalkulation der Chancen ging es um seinen Einfluß über Menschen, das heißt, um die Politik. Der Autor wählte diese Hauptfigur, um von seiner Sicht aus ein Bild Inherösterreichs zwischen 1598' und 1634 darzustellen — mit Abstechern Eggenbergs nach Spanien, Italien und anderen Ländern — um die Verwicklungen der österreichischen Habsburger im Dreißigjährigen Krieg zu schildern. Damit wurde ein Beitrag zur Beleuchtung des großen Themas geleistet, weshalb auch die Landesregierung von Steiermark und die Stadtgemeinde Graz das Buch gefördert haben.

Leider muß über den Stil etwas gesagt werden. Wäre dieser bescheiden, unauffällig, bedürfte er keines besonderen Kommentars, aber eine Schreibart von solcher penetranter Aufdringlichkeit zwingt den Rezensenten förmlich, dazu Stellung zu nehmen. Die Technik des Autors ist wie folgt: Zwischen den Seiten 37 und 51 ertönt zum Beispiel neunmal der Ruf: „Nimm dir genügend Hemden mit!“ Später ist von Kanizsa die Rede. Da heißt es: „Die Festung Kanizsa wurde den Türken übergeben! Nehmt eure Schürzen ab, Frauen, sucht die besten Hauben, zieht euch das schönste Kleid an, geht in die Kirche und betet, betet, betet, denn in Kanizsa“ usw. Nach jedem Paragraph der Chronik folgt der Ausruf: „Denn der Halbmond weht jetzt über Kanizsa!“ Oder: „Darum weht der Halbmond jetzt über dieser Festung!“ Wir gehen später auf „Und Kanizsa muß den Türken abgenommen werden“ über, um schließlich bei „Und Kanizsa ist den Türken nicht abgenommen worden!“ zu landen. Im Ganzen zwanzigmal. Was ruft der Chronist sonst noch aus? Na ja, zum Beispiel „Geld! Geld! Geld! Geld!“ Nun, Geld ist Geld, und so bleibt dieser Zwischenruf unverändert. Anders: „Hanns Ulrich will sich ein Schloß bauen!“ Dieser Satz läßt sich vielfach variieren, und so geschieht es auch.

Man weiß es wirklich nicht. Vielleicht hat der Verfasser recht. Vielleicht haben manche Leser so etwas gern. Es bringt sie so recht in Schwung, es wird ihnen ganz historisch zumute. Mag sein; Aber den Rezensenten hat es ganz fertiggemacht. Daß der Dichter Felix Braun (laut Klappentext) entgegengesetzter Meinung ist, sollte erwähnt werden.

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