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Der Schwalbengletscher

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(1. Fortsetzung und Schluß)

In den aufsäumenden Grat, der uns begleitete, ächzten Jochdohlen ihren ärmlichen, zückenden Schrei. Nach einer stillen kurzen Rast nahm uns das Eis auf. Der Gletscherrücken hob sich wie ein Schild, über den wir staunend und schweigend höher schritten. Nun geschah es, daß die Nebel sich plötzlich von oben zu senken begannen, ein Vorgang, der sich schnell vollführte und Grenzjöcher und wilde Grattürme den Augen entzog. Im selben Vollzug lag dunkle schwere Stimmung über dem weiten Weiß. Vom Piz maudit rauschte eine Steinlawine in die Tiefe.

Luzius, der an meiner Seite ging, hielt kurz den Schritt. Sein Blick war lauernd und witternd zugleich.

Er lauschte einer Stimme, die nur zu ihm und nur im besonderen sprach. Es ist der Berg, sagte ich, um die peinliche Spannung zu mildern, der so redet. Vielleicht ist es eine Warnung, dachte ich für mich weiter. Aber ich wies gleich den Einbruch solcher Gedanken schnell und klar ab. Ich hatte ein gutes Seil auf manchen Fahrten erprobt und eine Erfahrung, die es mir ohne Anmaßung und kühnem Wagemut erlaubte, die Scharte mit dem Jungen zu wagen. Es konnte immerhin sein, daß sie selber noch offen und hell über der Tiefe thronte, frei und besonnt über Abgründen und Grauen. So wollte ich es für Luzius, für ihn, den ich nun fest und sicher am Seil hatte. Er mochte dieses Verhunden- sein zum erstenmal empfinden, eher in der Begrenzung seiner Freiheit als in der Notwendigkeit meiner Pflicht, denn er hing wie ein’ gezähmtes Tier. Er hatte Mühe, guten Stand, und Schritt zu halten, sah oder erkannte kaum die Spalten, die da und dort aufgähnten, wußte nicht, daß gerade sie die Ursache seiner unfreien Spur waren.

Noch einmal erhob sich wuchtig der Schild des Gletschers, um dann in prunkvoller Ermattung die Scharte anzusetzen.

Ja, sie lag auf ihm wie eine Krone, ein wirkliches Joch, das ihn zurückstieß, niederbeugte, demütigte und kalt entließ, Oh, wie sie ihn abstieß, wie einen Sklaven, der eine kostbare Schleppe nachträgt und der Zeremonie der Krönung unwert erscheint, ihn erniedrigte, um sich selber schwebend und schwindelnd über Fels und Firn zu erheben. Schimmernd schwebte die Furka, eine morgenerglühte Bergkönigin, von Milliarden leuchtender Eisdiamanten umsprüht. Das Licht schleuderte die Nebel mit feurigem Schwert Zur Anstiegstiefe, die uns emporklimmen sah.

Noch war es an die zwei Seilspannen, daß der Fuß da9 Joch erreichte und der Blick hinuntertauchen durfte in das Gewoge der Täler, in die Vielfalt der Gipfel und Kämme, der Grate und Schluchten zweier Länder. Aber gerade diese zwei Seillängen trugen die stärkste innere Spannung in sich. Sie glichen dem Einmünden eines hart und lang durchgekämpften. symphonischen Schlußsatzes in den strahlenden festlichen C-dur-Akkord. Sie bergen Erfüllung, Lösung und Erlösung in sich. Wer sie zu beherrschen wußte, war Sieger über das Erdhafte Gebundene!

Wer dachte in diesem atemberaubenden Augenblick auch nur einen Hauch von Gedanken an Tiefe, Gefahr, an das Andere, das dahinterstand?

In diesem unvergessenen Augenblick, in dem mir eine wilde trunkene Freude fast die Besinnung nahm, eine Freude, die vornehmlich Luzius galt, nahm mir das Schicksal seine mir anvertraute Führung aus den Händen. Er war mir eilends nachgefolgt, die greifbare Nähe des großen Erlebnis ahnend. Einen Atemzug stand er mir so nah, daß ich gleichsam seinen Herzschlag vernahm, sein ungestümes pochendes jugendliches Herz. Ich hätte nur die Hand auszustrecken gebraucht, um ihn zu halten, um seine zarte fiebernde Gestalt zu fassen. Ich tat es nicht. — Es sollte nicht sein. — Er entglitt mir lautlos, als dieser eine Atemzug zu Ende ging.

Es geschah alles so unerwartet, so überwältigend und überberstend von innen heraus. Ich vermag es jetzt noch nicht zu erdenken, wie Luzius sich in einem Nu das gut geknotete Seil abstreifte, wie er die Arme emporwarf, sich gegen das Licht reckte, auf- sehwang und dann mit einem aufbrechenden Jubelruf — nein — mit einem verzückten und doch grausamen Schrei zur Scharte emporschnellte. Er ahnte nicht ihre Schärfe, ihren geschliffenen Schnitt, konnte nicht wissen, daß der kleine Felsknauf, auf den er losstürzte, jäh und unvermittelt in grauenhafte Tiefe abbrach. Ein schwarzes Natternhaupt von einem Felskopf, das die Scharte knapp zur Linken faßte. Er stürmte nur, mit dem Glanz und der Fülle seiner Jugend angetan in die Höhe — in die Tiefe — in bodenlose, spaltengäihnende Tiefe. — Einen kurzen Flimmer sah ich ihn zwischen Himmel und Erde schweben, einsam wie nur ein Mensch in Todeszeichnung, einsam und unendlich erhaben. Dann folgte der lange klirrende Schrei, der in den Wänden des Piz maudit zerbröckelte. — Ich werde ihn nie vergessen.

Bis es stumm war und die Scharte in eisiger Strahlung starrte. — Damals irrte ich von mir selber verlassen um die Wülste und schwarzblauen Ränder der Spalten, ich irrte im südlichen Gletscher in einem weißen Meer von Schnee und Verzweiflung und bitterer Anklage. Mein Haupthaar ist damals gebleicht und weiß geworden.

Ich fand Luzius nicht mehr. Sein Grab blieb der südliche Gletscher am Fuß des Piz maudit.

Heute gähnt wieder die Tiefe zur Scharte herauf, fahl verschwommen, brütend und böse. Der Steinschlag der Erinnerung braust durch die Seele — Luzius! — Ich lege die nebelfeuchte Hand an den Mund, um den dunklen weichen Namen zu rufen. Ich weiß, daß keine Atnwort kommt. Ich tue es nur aus dem Überströmen des Gedenkens. Ich ziehe an Spalten vorüber, nicht achtend der Gefahr, nicht prüfend, ob Schneebrücken meine Last tragen, ob Lawinen brechen, Felstrümmer aus finsteren Couloirs rauschen, erwartend: ein Zeichen von Luzius, der mir nahestand wie ein eigenes Kind. Einmal wird ihn irgendwo das Maul des Eises ausspeien, einmal wird sich seine Klammer lösen, sein Grab öffnen und sein reines Antlitz unversehrt den Himmel wiederschauen, den blauen Himmel, der sich über der Erde spannt. Sein Antlitz — nicht seine Augen.

Ich schreite über Spalten. Keine behält mich, keine Brücke bricht ein, kein Steinschlag trümmert nieder. Ich wandere wie in einem fernen Traum.

Da stößt mein Fuß an etwas Dunkles, Mattschimmerndes. In der weißen Gletscherwüste liegt es da, dort hingestreut wie Rosenblätter: Schwalben mit gespreiteten Flügeln, gefällt auf dem Brautflug vom Süden auf dem heimatlichen Höhenweg der Sehnsucht zerbrochen, hingestreut wie Rosen.

Ist es ein Zeichen von Luzius, der auch nichts weiter war, nichts weiter, lieber Gott, als eine kleine flirrende Schwalbe, die sich am Flug zum Licht die Flügel zerbrach? — Luzius, der mir am nächsten war, als er sich von mir löste — für immer.

Bald wird es Abend sein.

So bleibt es mir, die toten ausgebreiteten Schwingen zu sammeln.

Behutsam lege ich sie nebeneinander hin auf das ersterbende tödliche Weiß des Eises. Nun ruhen sie am Gletscher, am gleichen einsamen starren Ort, der Luzius, den Freund hält, ruhen mit dem verhauchten Laut der Liebe und des Lichtes in den halbgeöffneten Schnäbeln. In ihren blauschwarzen Fittichen glänzt noch immer ein verblichener Schimmer, den Luzius in seinen Augen trug. Immer stehe ich noch gebannt an der Stelle, die der Tod mit einem Frieden zeichnete, den das Leben nicht zu geben vermag.

Es ist inzwischen Abend geworden.

(Ende)

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