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Die brennende Frage: Staatskatholizismus?

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Daß es der Kirche bei dieser Art „religiösen Lebens“ nicht wohl ist, daß viele Katholiken eine Änderung dieses Zustandes wünschen, zeigte die W o-chenschrift der spanischen Katholischen Aktion, welche die Feiern — deren, wie gesagt, durchaus politische Aspekte eine Woche lang ganze Seiten der Tageszeitungen füllten — nur kurz in ihrer liturgischen Bedeutung würdigte, peinlich jede Anspielung auf den merkwürdigen politischen Propagandalärm vermied und es diesmal sogar unterließ, auch nur die Namen der teilnehmenden Minister zu nennen.

Es ist auch ein schwerwiegender Irrtum, anzunehmen, daß das katholische Volk Spaniens in dieser unentwirrbaren Verflechtung religiösen und politischen Lebens etwas Ideales, „ihm Gemäßes“ erblicke. Und gerade jene Menschen, die erschreckt und verwirrt sich vom geräuschvollen Treiben der Welt abwenden und in ihrem Glauben, an der Kirche, ihren inneren Halt suchen, ziehen sich in sich zurück und ihr inneres Verhältnis zu ihren nächsten kirchlichen Oberen wird genau so mißtrauisch wie ihr Verhältnis zur weltlichen Obrigkeit.

Andere Gruppen von Katholiken — Monarchisten, Republikaner, Arbeiter und ein erschreckend zahlreiches geistiges Proletariat (zum Beispiel die schlecht bezahlten Lehrer an Volks- und Mittelschulen) — stehen dem politischen Regime ablehnend gegenüber, und ihre Reaktion gegenüber der Kirche ist ein bitterer Antiklerikalismus; nur ihre in Fleisch und Blut übergegangene religiöse Erziehung hält sie noch in der Gemeinschaft der Kirche und bei der Erfüllung ihrer Pflichten als Katholiken.

Gefallen an den Vorgängen finden natürlich alle jene Kreise, die sich mit dem Regime identifizieren, ihm dienen oder seine Nutznießer sind, Emporkömmlinge aus der Partei, die „gute Gesellschaft“, da sie dem Regime eine Atmosphäre scheinbaren „sozialen Friedens“ danken, in dem sie das Leben genießen können im Angesicht beschämendster Armut, die gleich vor ihren Türen die zitternden Hände ausstreckt.

Sie erstreben so etwas wie eine Kirche für ihren Hausgebrauch. Der Gouverneur von Santander sagte es kürzlich auf einem Kursus für soziale Dirigenten mit entwaffnender Deutlichkeit, als er die nach der Idee Prälat C a r d i j n s auch in Spanien bestehenden Arbeitergruppen der Katholischen Aktion (HOAC) angriff:

„Man versteht eine katholische Organisation für den Kampf gegen das laizistische und gottlose Regime der Republik. Was aber wollen die katholischen Arbeiterorganisationen? Wäre es nicht angebrachter, daß man patronale Organisationen gründete, welche sich zur Aufgabe nähmen, die wohlhabenden Klassen davon zu überzeugen, daß sie ihre moralischen Pflichten auf dem Wege der Caritas erfüllen? Eine Organisation, die Barmherzigkeit mit den Reichen üben würde, welche wissentlich die Zehn Gebote verletzen und Hauptsünden begehen, würde viele Seelen der Verdammnis in der Hölle entreißen. Das wäre ein besserer Kampf, über den wir Katholiken uns alle freuen würden, und der viel wirksamer wäre als die Arbeiterorganisationen der Katholischen Aktion, an denen ich, ich weiß nicht wie, eine gewisse politische Schattie-rund bemerke, hinter der sich Demagogie, Klassenkampf und Aufspaltung des Proletariats verbergen können.“

Man bemerke wohl: Keine auskömmlichen Löhne, keine soziale Gerechtigkeit, um welche die Arbeiterschaft der Katholischen Aktion kämpft, sondern „Caritas“, Almosen! Almosen, damit die Besitzenden gottgefällige Barmherzigkeit zu üben Gelegenheit bekommen und so durch das biblische Nadelöhr schlüpfen können. Wenn man wissen will, wie das Volk darüber denkt, braucht man nur vor Arbeitsbeginn oder nach Feierabend in einer Straßenbahn fahren. Das tägliche Gesprächsthema sind die kleinen und großen Leiden des arbeitenden Volkes. Der unweigerliche Schlußsatz aller Klagen aber geht die Kirche an.

Ein Vorfall: Im asturianisdien Industriegebiet geschehen mit betrüblicher Häufigkeit Unglücke in Gruben, Hütten und Fabriken mit tödlichem Ausgang, denn die Arbeitsverhältnisse entsprechen meist noch denen eines vergangenen Jahrhunderts. Anstatt die Toten in die Kapelle oder in ihr Haus zu ihren Familien zu bringen, schafft man sie, wie die katholische Wochenschrift „TU“ der in der Katholischen Aktion stehenden Arbeiterschaft anklagt, in ein Sanatorium. Dort bescheinigen Ärzte, daß sie mit leichten Verwundungen „vorbehaltlich möglicher Komplikationen“ eingeliefert worden sind. „Nach gut berechneten Stunden tritt natürlich die .Komplikation' ein, und nach kurzer Zeit .stirbt' das Opfer. Womit für die Firma alle unangenehmen Konsequenzen und Unkosten erspart bleiben ... Mit dieser Infamie beflecken sich Direktoren, Angestellte, Techniker, Ärzte und Arbeiter, die natürlich als ,gute Katholiken' allsonntägig zur heiligen Messe und womöglich auch zu den heiligen Sakramenten gehen.“

Die katholische Kirche Spaniens entbehrt — so möchte man meinen — zu sehr der bei den Katholiken Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder so heilsamen Selbstkritik. Die angeführten Stimmen aus der Katholischen Aktion entstammen einer Minderheit, die als unbequem empfunden wird. Und dennoch halten hier viele Menschen Spanien für „das katholische Land der Erde“. Sie schließen die Augen vor den Unvollkommenheiten ihres „katholischen Staates“, die nicht beschämender sind als die Fehler anderer Staaten, aber gerade deshalb den Freund dieses Landes schmerzen, weil er von einem • Staatswesen, das sich seiner religiösen Grundlagen bewußt ist, etwas nahezu Vollkommenes wünscht.

Fürwahr, es ist schwer, diese Mentalität ganz zu ergründen. Und um so schwerer wird es, wenn man dazu gekommen ist, in und mit diesem großherzigen spanischen Volke zu leben, als sei man eines seiner Glieder. Je länger man so lebt, um so hellhöriger wird man, um so stärker fühlt man, daß auch hier eine Zeit der Prüfung naht, welche der Kirche Spaniens die Stärke ihrer Reinheit und Unabhängigkeit wiedergeben wird.

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