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Die Propaganda und das Bauen

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Ohne große Uebertreibung kann man sagen,daß die Propaganda allenthalben wichtiger ist als das Werk. In direktem Bezug auf das Bauwesen kann man ferner konstatieren, daß dem Bürger für staatliches Geld nichts zu teuer ist. Schließlich muß man sehr allgemein, sehr melancholisch erkennen, daß selbst der unbegabte Karrieremacher klug genug ist, sich zu hüten, die Sparsamkeit zu empfehlen. (Der Biedermann vom Lande würde meinen, es ließe sich eine politische Laufbahn, wenn schon nicht auf Blut, Schweiß und Tränen, so doch auf kaufmännischer Korrektheit, redlicher Arbeit, Luxusbekämpfung u. dgl. gründen. Er würde schnell abserviert und ausgelacht.) Denn: In der Demokratie gibt es keine Stelle, die stark genug ist, die freiwillige Einschränkung zu empfehlen. Vielleicht ist dies die Ursache der schleichenden Entwertung aller konservativen Werte.

Im Bauwesen sieht dies so aus: Alles, was letzter Schrei und teuer ist, wird mit jährlich steigender Vehemenz ins Bewußtsein gerückt. Zum Beispiel geht momentan eine Welle durch die Zeitungen, die wieder einmal große Glasflächen, aufgelockerte niedrige Bauweise, Gärten, Spiel-und Sportflächen, Bildungsinstitute usf. fordert. Niemand weist darauf hin, daß das übergroße Fenster die Heizkosten berührt, also in den Haushalten unbeliebt ist, das zweite zuvorderst die Verbesserung des Verkehrs verlangt, das dritte die offensichtliche Pleite in Cortina berücksichtigen sollte, das letzte aber doch in seinem Zusammenhang mit dem allgemeinen Zustand der Volkswirtschaft gesehen werden muß. Alle diese retardierenden Momente scheinen in den öffentlichen Diskussionen nicht auf, und der stillschweigende Uebergang der Bauverwaltungen zum kleinen Fenster, zum Dichtbauen, der allenthalben bemerkbar ist und seinen Grund hat, wird als vermeidbare stocksteife Konservativität der Verkalkten und Verzopften hingestellt. Niemand weist darauf hin, daß denen, die überhaupt keine Wohnung haben, die Erringung einer sogar kleinen, hellhörigen, untechnisierten Stockwerkswohnung als Wunschtraum erscheint. Die angebliche Massensehnsucht nach Modernismus wird aufgeputscht, und die gewaltige Bauleistung, die aus humanitären und Propagandagründen aus der armen österreichischen Wirtschaft (mit Amerikanerhilfe) herausgepreßt wurde, wird bagatellisiert oder geschmäht. Dies ist kein guter Zustand, weil er eine Reihung nach den Dringlichkeiten verhindert und diese der Stoßkraft der Interessentengruppen, dem Zufall also, ausliefert.

Bei der Betrachtung des Grundsätzlichen stellt es sich heraus: 1. daß die Vernunft, wie überall, gegen das „Gefühl“ nicht aufkommt; 2. daß es gar keinen Sinn hat, über die Details zu streiten, wenn man über die — namentlich finanziellen — Möglichkeiten nicht Bescheid weiß; 3. daß man nicht in einem Atem Steuersenkung und Wohnungs- oder Schulluxus usw. verlangen kann; 4. daß es unbedingt notwendig ist, die politische Propaganda — siehe Hitler: Geld spielt keine Rolle — vom Bauwesen zu trennen. (Welch närrische Forderung: den Staat nicht zu melken, wenn alle andern es tun!)

Die Wunschsprecher haben in einem Punkte recht. Wenn z. B. die Wohnungen allzu klein gemacht werden, so geschieht unkorrigierbare Fehllenkung. Wenn wir die Wissenschaften vernachlässigen, geraten wir in Rückstand. Wenn wir den Anschluß nach dem großen freien Zug der gegenwärtigen Architektur — nach Licht und Luft — nicht herstellen, so stempeln wir uns zu Anhängern einer abgetanen Welt, verlieren wir die Symbolkraft der eine neue Hoffnung gebenden Bauform. Die Gefühlskraft, die selbst

in der verrücktesten Hausform stecken kann, ist ein Agens von sehr großer seelischer Bedeutung. In ihr steckt Glauben. Da aber nicht nur die als unzulänglich gebrandmarkten Häuser 100 Jahre stehen, sondern auch die gebauten Gefühlsexzesse, da nicht ausgemacht ist, welche von beiden Haltungen die unerträglichere Dauerbelastung bringt, da kurzum der unbedachte Fortschritt sowohl wie das Verkalktsein der Konservativen schweres Unheil brachte, sollte die Publizistik, die größte bewegende Macht, es berücksichtigen, daß, die den Stein halten, ebensoviel wert sind als die ihn bewegen. Es ist Temperamentssache, was im Augenblick und in besonderem Falle verantwortbarer erscheint. Mit dem Umsturz allein ist es nicht getan, und die Männer, die z. B. im Wohnbau Wiens die Nachahmung des italienischen Formexperiments , als undurchsetzbar ansehen, sollten nicht für ahnungslose Rückschrittler hingestellt werden. Sie kennen den Durchschnitt der Mieterwünsche meist sehr genau. Selbst in der Schweiz ist das „Unbehagen“ am neuen Bauen (zu klein, zu dünn, zu uniform, zu weit vom Arbeitsplatz) keineswegs klein. Soll es, kann es in Oesterreich besser gemacht werden?

Fast immer wird vorerst in die Aesthetik der Häuser hineingeredet. Sie versteht jeder. Und man mag zugeben, daß manches Haus mit denselben Mitteln besser gemacht sein könnte. Die Unterdrückung der Gestaltungsfreiheit ist schuld an der Nüchternheit der Kanalgitterfassaden. Es ist aber keine Frage, daß vollkommen schmucklose Fronten ein hohes Maß von sachlicher Schönheit besitzen können, wenn die „Löcher“ von einem die Proportion fühlenden „Meister“ hineingeschnitten sind. Bieder-nicierfassaden haben relativ sehr kleine Fenster im glatten Kubus. Die Beanstandung der kleinen Oeffnungen besagt also als ästhetisches Werturteil gar nichts. Die Kritik hätte zu verlangen, daß die Proportionierung gefühlt sei. Dies kommt auf nichts anderes hinaus, als daß die bewährte Meisterhaftigkeit, die Auswahl des Entwerfers, zu fordern ist, die in früherer Zeit durch das Lebenswerk bewiesen wurde. Wer aber ist der Richter, wer kann es wagen, dieses durch nichts zu ersetzende Ausleseprinzip heute zu verlangen? (Ein geistesaristokratisches Prinzip — welcher Narr wagt das Wort in den Mund zu nehmen?)

Zusammenfassend kann man zum uferlosen Thema sagen: Mit der „Lenkung“ sind ästhetische Lorbeeren nirgends in Europa geholt worden. Lenkung heißt Bürokratie und Gestaltung heißt Freiheit. Es ist aber da und dort in Ansehung aller Umstände Brauchbares entstanden. Wir wollen hoffen, daß dem ästhetischen Fehlschlag nicht der wirtschaftliche folgt, der infolge der bedenklichen Verquickung von Politik und Baugeschehen, der Zerstörung der Verantwortlichkeit, der Auflösung der Tradition, der Entfesselung von Massenwünschen und der ungerechten Lastenverteilung vielen Stadtpolitikern des Westens das gefährliche Baulenkungsgeschäft suspekt macht. Die private Bauwirtschaft ist gelenkiger, sie verteilt das Risiko, sie bietet einige Chancen für das Talent.

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