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Diktator im Zenith der Macht

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Nord- und Westeuropa ist unterworfen: Hitlers Cäsarentraum schweift ins Unendliche. Im Osten hat es im furchtbaren Rußlandwinter wohl die ersten Rückschläge gegeben, aber im Führerhauptquartier nimmt man sie nicht ganz ernst: noch stehen ja die deutschen Ostheere vor Moskau und Leningrad, Rommel pocht an die Tore von Alexandria.

Aus diesen Tagen des ungetrübten, von keinem Schatten umdüsterten Macht-und Erfolgsrausches ist uns ein einzigartiges Selbstzeugnis erhalten: „Hitlers Tischgepräche im Führerhauptquartier 1941/42“ (Athenäum-Verlag, Bonn, herausgegeben von Prof. Gerhard Ritter). Keine Reden, keine redigierten Zeitungsaufsätze und Leitartikel — hier werden Hitlers intimste persönliche Auffasssun-gen, Beweggründe und Leitmotive laut. Hier spricht der Mann des raschen, des glänzenden Erfolges. Er spricht zu seinem intimsten Kreise, den Tischgenossen aus Partei, Wehrmacht und Staat.

Seine Faszination ist das neue „germanische Großreich deutscher Nation“. Hitler denkt nur „kontinental“, die großen mondialen Zusammenhänge, die Gegenkräfte, die er in der Welt wachgerufen hat, das Unwetter, das sich auf den britischen Inseln und jenseits des Ozeans zusammenzieht — er sieht es nicht. Er bagatellisiert sie mit jenem höhnischen, humorlosen Witz, der sich in den dozierenden Stil seiner Gespräche oft seltsam mischt. Dieses Reich nun — Hitler steht im Geist immer vor der Landkarte — hat sein Indien: Rußland. Die Metropole dieses Gigantenstaates heißt wohl noch Berlin, in Zukunft wird man diese Stadt aber „Germania“ nennen. (Aufzeichnungsnummer 35.) Im russischen Raum werden die 100 Millionen Siedler aus allen germanischen Ländern Europas, von denen Hitler für die Zukunft träumt, ungehindert und aus dem Vollen schalten. Durch das damals schon halbzerstörte Leningrad wird sich die deutsch-finnische Grenze ziehen und diese Stadt wird dann von selbst zerfallen. (Nr. 18.) Autobahnen von gigantischen, raumangepaßten Dimensionen werden die neuen Helotengebiete aufschließen, ins Donez-gebiet wird eine Eisenbahnlinie von vier Meter Spurweite führen. (Nr. 66 und 76.) Was soll nun aber mit den bisherigen Einwohnern geschehen? Man lasse sie ruhig verkommenI „Einmal im Jahr wird ein Trupp Kirgisen durch die Reichshauptstadt geführt, um ihre Vorstellungen mit der Gewalt und Größe unserer steinernen Denkmäler zu erfüllen.“ (Nr. 4.) „Warum sollen wir sie impfen?“ und: „Man muß da wirklich unseren Juristen und Ärzten Gewalt antun. Nicht impfen, nicht waschen!“ (Nr. 8.) Vor allem keine Bildung! „Es genügt, wenn sie wissen, daß die Hauptstadt des Reiches Berlin heißt.* (Nr. 44.) Die natürliche Vermehrung dieser Völker ist freilich groß. Aber auch da kann durchgegriffen werden. Hitler meinte dazu, „in irgendeiner Abhandlung habe er kürzlich den Vorschlag gefunden, den Vertrieb und den Gebrauch von Abtreibungsmitteln in den besetzten Ost-

gebieten zu verbieten. Wenn tatsächlich irgendein Idiot versuchen sollte, ein derartiges Verbot in die Praxis umzusetzen, werde er ihn persönlich erschießen. Man muß einen schwungvollen Handel mit Verhütungsmitteln in den Ostgebieten nicht nur zulassen, sondern geradezu fördern, da man an einer übermäßigen Vermehrung der nichtdeutschen Bevölkerung nicht das geringste Interesse habe“. (Nr. 44.)

Auch für die SUdtiroler findet sich im Osten eine nützliche Verwendung. Sie werden nach einem „außerordentlich

guten“ Vorschlag des Gauleiters Frauenfeld in der Krim angesiedelt.

Ihre Verbringung dahin biete weder physisch noch psychisch besondere Schwierigkeiten. „Sie brauchten ja nur einen deutschen Strom, die Donau, hinabzufahren, dann seien sie schon da.“ (Nr. 155.) Welche Rolle der „aufnordenden“ Wirkung deutscher Soldaten im allgemeinen und der SS-Divisionen im besonderen in bevölkerungspolitischer Hinsicht zugewiesen wird, mag, wer will, im Original nachlesen.

Sie lagen auf der Bärenhaut...

Dieser Planer des „Großgermanischen Reiches“ hält aber durchaus nicht viel von germanischer Kultur und Vergangenheit. „In derselben Zeit, in der unsere Vorfahren die (neu ausgegrabenen) Steinkrüge und Tonkrüge aufgestellt haben, von denen unsere Vorzeitforscher soviel Aufhebens machen, ist in Griechenland die Akropolis gebaut worden.“ Uberhaupt Griechenland! „Unser Land war ein Sauland, durch das unsere Vorfahren höchstens durchgezogen sind.“ „Wenn man uns nach unseren Vorfahren fragt, müssen wir immer auf die Griechen hinweisen.“ (Nr. 144.) Die eigentlichen Kulturträger nicht nur in den letzten Jahrtausenden vor Christus, sondern auch im ersten Jahrtausend nach Christi Geburt seien doch, sagt Hitler, die Mittelmeer-

länder gewesen. Eine Versetzung nach Germanien war für den römischen Legionär eine Art Strafversetzung. „Die Germanen, die in Holstein geblieben sind, waren nach 2000 Jahren noch .Lackel', während ihre Brüder, die nach Griechenland ausgewandert waren, zur Kultur aufstiegen.“ (Nr. 218.) Nein, der Süden, nicht der Norden hat es Hitler in Wirklichkeit angetan! Diese Germanen lebten in einem Land, das „kalt, feucht und trüb“ war und „sie waren auf keiner höheren Kulturstufe als heute die Maori“. (Nr. 218.) „Rosenbergs .Mythos des 2 0. Jahrhunderts' findet Hitler demnach auch ungenießbar und so wie viele Gauleiter habe er es nur zum geringen Teil gelesen.“ (Nr. 132.)

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