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Dokumente einer Epoche

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BRIEFWECHSEL MIT REINHOLD SCHNEIDER. Von Erich Przywara. Mit Gedenk Worten von Theodor Heuss, Werner Berg engruen, Erich Przywara und einem Vortrag von Reinhold Schneider. Im Verlag der Arche, Zürich 1965, 147 Seiten. — MÜNDLICH GESPROCHEN. Von Werner Bergengruen. Im Verlag der Arche, Zürich, 416 Seiten. — RÄUBERWUNDER. Erzählungen. Von Werner Bergengruen. Im Verlag der Arche. Zürich. 224 Seiten.

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BRIEFWECHSEL MIT REINHOLD SCHNEIDER. Von Erich Przywara. Mit Gedenk Worten von Theodor Heuss, Werner Berg engruen, Erich Przywara und einem Vortrag von Reinhold Schneider. Im Verlag der Arche, Zürich 1965, 147 Seiten. — MÜNDLICH GESPROCHEN. Von Werner Bergengruen. Im Verlag der Arche, Zürich, 416 Seiten. — RÄUBERWUNDER. Erzählungen. Von Werner Bergengruen. Im Verlag der Arche. Zürich. 224 Seiten.

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Der Briefwechsel zwischen E. Przywara und R. Schneider ist das Dokument einer Epoche abendländischen deutschen Katholizismus, die in ihrer Art einzigartig war, die schon Geschichte geworden ist (die Träger ihren Namen sind mit Ausnahme Przywaras und le Forts bereits tot), von der wir heute jedoch, was das Wesentliche betrifft, noch zehren. Hier liegen die vorkonziliaren Tendenzen, können wir heute rückblickend sagen, die zum Konzil führten, vielleicht führen mußten, damals noch mißverstanden, mit Mißtrauen verfolgt, heute leider auch wieder in der Gefahr von nachkonziliaren Moden veruntreut zu werden. Wie gleichen sich doch die jeweiligen Tagesmoden und Zeitaktualitäten in ihren überschnellen, oberflächlichen, dazu leider auch unfehlbarkeitslüsternen Urteilen! R. Schneider und viele seiner Weggenossen mußten es am eigenen Leib verspüren, von Diffamierung bis zur Exkommunikationsdrohung. Einer seiner Verleger, Joseph Rossė, vom Alsatia-Verlag, der unter dem braunen Regime die Betreuung deutscher christlicher Literatur auf sich nahm, wurde als „Kollaborateur“ hingerichtet. Ebenso bedenkenlos sprechen die heutigen christlichen Modefans ihre Urteile; mit allen Möglichen forcieren sie ihre „Dialoge“, nur nicht mit denen, von deren Gut sie zehren. Man könnte an der Geschichte verzweifeln. Doch wenn man das Wesentliche von R. Schneiders Geschichtssymbolik, in der er eine „Wahrheit gestaltet“, die Przywara dann nach den Worten des Dichters klar präzisiert, sich anzueignen versteht, wird man vom Unbegreiflichen ergriffen, ahnt den Einklang der Schrecklichen mit der Liebe, wie Bergengruen sagt. Die bisher unveröffentlichte Betrachtung R. Schneiders zum Passionssonntag versucht dieses Unbegreifliche wieder einmal zu begreifen: Gott schafft nicht Recht vor den Frevlern, nicht einmal seinem Sohn, nämlich im irdischen Sinn; „Gottes Recht ist in diesem Prozeß ein völlig anderes: es ist das Opfer“, in dem es „um den ganz unglaubwürdigen Tempel des auferstandenen Leibes geht“, während den Tempeln aus Stein, Gold und Macht nichts als „die dürftige Hoffnung auf das fragwürdige Lob der Geschichtsschreiber“ bleibt.

Werner Bergengruen beginnt seine Redesammlung mit acht Vorträgen über Reinhold Schneider. Auch er betont: wie wenig ist er den Problemen unserer Tage ausgewichen, wiie sehr ist es gerade die Stunde der Gegenwart gewesen, von der er sich aufgerufen fühlte; und wie sehr entsetzt es ihn, daß immer „die uneingeschränkte Herrschaft derer, die nicht herrschen sollen“, anbricht, zu denen auch jene gehören, die das wirklich und notwendig Moderne fijr das Linsenmus eines billigen, angeblich so zeitgemäßen FÖftschritt- getues preisgeben. Immer wieder geschieht der Griffff nach der heilen und heiligen Ordnung, immer wieder aber erlahmt er auch an der Trägheit des Herzens, wird verraten von der Gier nach Scheinvorteilen und Eitelkeiten. So ringt sich R. Schneider von der „absoluten Tragik zu Tragik unter der Gnade“ durch. Es ist erstaunlich, mit welcher Einfühlung Bergengruen, dem doch die „heile Welt“ zum Ereignis der Dichtung wird, diese tragische Spannung nachzuvollziehen weiß. Geborgenheit ist ihm absolut kein „rentnerhaftes Wohlbehagen“, sondern nur eine andere Seite des einzigen geschichtlichen Ereignisses, das seinen Dichter-Freund bewegt, dem kein anderes an Leucht- und Sprengkraft verglichen werden kann, der Fleischwerdung des Wortes. „Nur der Trostbedürftige streckt die Hand nach dem Trost aus …“, „nur der beunruhigte Dichter kann trösten“. Wie ernst ihm das ist, zeigt die Erwähnung von Namen wie Grimmelshausen, Kafka, Dostojewskij oder Jean Pauls „Rede des toten Christus“. Das bloße Vorhandensein, die bloße Möglichkeit von Dichtung, spendet diesen Trost, weil sie Maß und Gesetz vom fleischgewordenen Wort besitzt, nicht in billiger Harmonisierung, sondern in der Aufrechterhaltung aller tragischen Paradoxa, die schon in der Verbindung von Wort und Fleisch begründet liegen und nur im göttlichen Bereich der coincidentia oppositorum glaubend ertragen werden können. Das exemplifizierte Bergengruen an den mannigfaltigsten Beispielen von Freunden. Ereignissen, Dichtern, die er zu Gegenständen seiner Reden gewählt hat; exemplifiziert er in den „Räuberwundem“. „Die Kunst, sich zu vereinigen“, wie die letzte Erzählung in „Räuberwunder“ heißt, ist eine menschliche Kunst, die keinen Unterschied zwischen oben und unten, reich oder verkommen macht und auch in fragwürdigen räuberischen „Unangängldchkeiten“ Macht beweist. Doch über allem bleibt die heile Welt des fleischgewordenen Wortes.

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