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Zeugnisse eines Dichterlebens

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DICHTERGEHÄUSE. Aus den autobiographischen Aufzeichnungen von Werner Bergen-g r u e Ii. Verlag der Arche, Zürich, 1966. 432 Seiten. sFr. 24.—. — BRIEFWECHSEL WERNER BERGENGRUEN UND REINHOLD SCHNEIDER, herausgegeben von N. Luise H a k-kelsberger-Bergengruen. Verlag Herder, Freiburg/Br., 1966. 157 Seiten. DM 16.—.

Werner Bergengruen, der 1964 verstorbene große Erzähler und Lyriker, hat keine eigentliche Autobiographie geschrieben; auch sein Buch „Schreibtischerinnerungen“ kann nicht als eine solche gelten. In seinem Nachlaß fanden sich jedoch umfangreiche Aufzeichnungen aus den letzten 24 Jahren seines Lebens, die er selbst „Compendium Bergen-gruenianum“ nannte. Er meinte, ein solches Compendium, zusammengesetzt aus Beobachtungen, Erinnerungen, Betrachtungen und Bekenntnissen entspreche eben als Zeugnis gelebten Lebens als Extrakt des Erfahrenen, Gefühlten, Gedachten und Gelittenen meiner Natur besser als die chronologische Aneinanderreihung von Memorabilien“. Aus der Fülle dieser Aufzeichnungen hat nun Charlotte Bergengruen in dankenswerter Weise und mit tiefem Verständnis eine vorzügliche Auswahl getroffen. Die einzelnen Niederschriften sind nach thematischen Gruppen, nicht nach ihrer zeitlichen Reihenfolge geordnet. In der Art eines Mosaiks schließen sie sich zu einer lebensvollen Selbstdarstellung des Dichters zusammen, die jedem, der sein Werk kennt und liebt, sehr willkommen sein wird. Freilich wäre es für den Leser von Nutzen gewesen, wenn man diesen Aufzeichnungen auch eine biographische Skizze mit den wichtigen Daten des äußeren Lebens Bergengruens vorangestellt hätte.

Aus einem Zeitraum von über zwei Jahrzehnten stammend, umfassen die Aufzeichnungen oft nur wenige Zeilen, erreichen aber auch manchmal das Ausmaß von kleinen Skizzen und Essays. Er schreibt über Elternhaus und Kindheit (ungemein plastisch die Porträts der Eltern), seine Schuljahre, den ersten Weltkrieg, die Zeit des Dritten Reiches, als er schwerem Druck ausgesetzt war, vieles über sein Schaffen, seine Neigungen, über Begegnungen mit angenehmen und unangenehmen

Zeitgenossen, ernste und heitere Erlebnisse, über religiöse und künstlerische Probleme — kurz, über große und kleine Dinge. Groß und klein, das muß hier richtig verstanden werden, denn Bergengruens ausgeprägter Sinn für das Gleichnishafte, Symbolische der irdischen Erscheinungen erkannte auch im Geringen das Sinnbild für ein Größeres. Es ist ein besonderer Vorzug dieser Auswahl, daß sie sich nicht auf die „großen Themen“ beschränkt, sondern auch Eindrücken des Alltags Raum gibt, weil dadurch die Geistigkeit ihres Autors in ihrer liebenswerten Eigenart differenzierter deutlich wird. Betrachtungen wie etwa die über Hotelzimmer, Kalender, einen Spazierstock oder einen Ring haben ihren eigenen Reiz. Was Bergengruen, der bekanntlich selbst ein meisterhafter Vortragender war, über Dichterlesungen schreibt, ist ungemein treffend und verdient, von allen Autoren beachtet zu werden. Ein Abschnitt des Buches ist dem Freund Reinhold Schneider gewidmet. Das Bild, das wir von der Persönlichkeit Bergengruens aus dieser Selbstdarstellung erhalten, deckt sich ganz mit dem, das uns sein dichterisches Werk offenbart: ein wahrhaft ritterlicher Mann, gläubig und weltoffen, durchgeistigt und humorvoll, in seinem Dichtertum und seinem Leben ein Bekenner der ewigen göttlichen Ordnung, in der er die Welt, die „heile Welt“, geborgen weiß. Er fühlt sich, wie er schreibt, „als der immer gefährdete und immer behütete Mensch“. Er paktierte nicht mit vergänglichen Zeitströmungen, sondern hielt sich, um ein Wort Goethes zu gebrauchen, an das „alte Wahre“. So schuf er ein Werk, das bleiben wird. Er übernahm, wie es im schönen Nachwort von Emil Staiger heißt, „den Auftrag, der für alle bedeutenden Dichter älterer Zeiten selbstverständlich war: das Gültige zu verkünden und also mit der Macht des Wortes eine neue Gemeinschaft unter den Menschen zu stiften“.

Wie die Herausgeberin des Briefwechsels zwischen Werner Bergengruen und Reinhold Schneider in ihrem Nachwort mitteilt, erfolgte die erste Begegnung der beiden Dichter im Jahre 1933 in Berlin. Sie trafen sich einige Jahre später in München anläßlich eines Vortrags, den Schneider dort hielt. 1936 begann der Briefwechsel, von dem bis 1942, bedingt durch die Kriegsereignisse, nur Bergengruens Briefe erhalten blieben. Von da an ist er vollständig vorhanden. Die Briefe zeigen deutlich die verschiedene Wesensart ihrer Verfasser. Man erkennt, wie N. Luise Hackelsberger-Bergengruen in ihrem knappen, aber konzentrierten Nachwort schreibt, „Bergengruen als den Kräftigeren, Weitverzweigteren, Spielerischen, vielfältig und lebhaft Aufnehmenden und am Leben Teilhabenden, mit einer deutlichen Neigung zu verehren“. Der um mehr als ein Jahrzehnt jüngere Schneider „ist der passivere Teil; gezeichnet von Krankheit, Mattigkeit, oft Hoffnungslosigkeit und Verlassenheit, scheint er sich in einem Radikalismus ohnegleichen mit geschlossenen Lippen äußerste Anstrengungen abzufordern“. Beiden gemeinsam war ihr tiefer katholischer Glaube und der Ernst, mit dem sie ihrem dichterischen Auftrag dienten. Bergengruen erfüllte diesen Auftrag mit größerer Freiheit als sein Freund, der mehr Denker als dichterischer Gestalter war. Beide waren „Heimatlose, peregrini in saeculo“. Privates ist nur wenig in diesen Briefen enthalten, doch lesen wir Aufschlußreiches über das Schaffen der beiden Dichter, ihre Einstellung zu verschiedenen Problemen und Zeitereignissen. Sie waren verbunden im hohen Rang ihrer Menschlichkeit. 1939 schreibt Bergengruen an Schneider: „Ich weiß, daß Ihr Leben schwer ist, und ich glaube, das Ihre berührt sich mit dem meinen in einer Tiefendimension, von der unser beider Bewußtsein nichts weiß.“

Außer dem Briefwechsel enthält das Buch noch Äußerungen Bergengruens über Schneider, einen Aufsatz von Schneider über Bergengruen, einen Anmerkungsteil, Photos der beiden Autoren sowie zwei Gedichte in Faksimile. Auch dieser Band ist eine wertvolle Dokumentation dichterischer Lebensdeutung.

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