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Drei Mütter

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In einem Hochtal ,in Tirol steht eine blatternarbige Kapelle, abgeschunden und grau. Unkraut und Hungerblümchen wachsen dort; das protzige Gelb des Hahnenfußes täuscht Reichtum vor. Im ganzen Dorf wohnt kein Mensch. Die Häuser sind verfallen, manche liegen müde zusammegebrochen am Wegrand. Einmal, es ist schon lange her, gab es eine Lawinenkatastrophe. Die Ueberlebenden zogen fort.

Etwas tiefer wohnt in seiner verlotterten Hütte ein alter Mann, Simon heißt er. Zuweilen, so erzählt er mir, steigt er hinauf ins Dorf und stellt auf den leeren Altar der Kapelle Blumen hin. Einstens stand dort, prächtig gekleidet, die Gottesmutter mit flächsernem Haar Und einer Krone auf dem Haupt. Er selbst hat sie nie gesehen, doch sein Urgroßvater wußte, warum sie eines Tages verschwunden war. Der Simon vermag seiner Stimme, wenn er die Geschichte erzählt, keine Wärme zu verleihen. Aber gerade die nüchterne Darstellung und der Blick seiner leeren Eisaugen geben ihr Kraft und Glanz.

Im Pestjahr 1630 flüchtete hier herauf eine Sterbende, die ihr Kind auf den Armen trug. In ihrer Verzweiflung war sie zu der Kapelle emporgestiegen, denn im unteren Dorf lagen noch die Pestleichen umher; lebendigen Menschen gab es weit und breit keinen. Oder doch? Der junge Vinzenz kauerte auf dem Dach seines Elternhauses und blickte ins Land, um zu schauen, ob noch irgendwo Rauch aufstieg. Da sah er die Frau dahertorkeln. In einem Tuch trug sie ihr Hab und Gut. Vinzenz verhielt ‘ sich ruhig auf seinem Dach. Föhn ging und brachte Leichengeruch, und die alten Schindeln krachten in der Maisonne. Gerade jetzt hatte der Bub den Weiler verlassen wollen, vor der Tür stand bereits die beladene Kraxe mit Gewand und Saatgut. Er kroch noch mehr in sich zusammen und wollte von der Frau dort in der Kapelle nichts wissen. Sie war ja schon gezeichnet von der Seuche, was schleppte sie sich noch mit ihrem

Hab und Gut ab? Vinzenz wäre gern wie eine Katze so lautlos vom Dach gesprungen, um sich zu trollen, aber nun schlotterte er vor Angst, denn nun kam aus der Kapelle ein Schrei, daß er am ganzen Körper erstarrte. Er legte sich flach auf die Schindeln hin und hielt sich die Ohren zu. Vinzenz war ja noch sehr jung — vierzehn Jahre alt —, und in ihm hatten nur Furcht und Entsetzen Platz.

Dann wurde es still. Liebers Gras strich rauschend der Föhn, es hörte sich an, als käme Wasser in Bewegung. Plötzlich kreischte die Kapellentür. Vor Staunen, was er nun sah, biß der Vinzenz sich in die Faust, richtete sich in die Höhe und behielt die längste Weile den Mund offen. Wie ein Fisch rutschte er die glatten Schindeln hinab, brachte Steine ins Rollen, aber die dort ging, sah und hörte ihn nicht. Sie trug ein blaues Gewand - die Frau, die heraufgeflüchtet war, hatte ein graues, ausgebleichtes angehabt —, das verstaubte Haar aus Flachs hing ihr lang über den Rücken. Eine Krone aus erblindetem Gold stach in das Firmament. Dem Buben kam es vor, als rissen die Zacken Löcher in den Himmel, aus dem nun starkes Blau her- vorquoll. Und als ob es so sein müßte, nahm der Vinzenz nun seine Kraxe auf den Rücken und folgte der seltsamen Gestalt.

Die fremde Frau ging den Höhenrücken entlang. Rauch, oder war es Staub, hüllte sie zuweilen ein. Der Bub hastete einmal links, einmal rechts auf den Steilhängen dahin, gar nichts anderes hatte er nun im Sinn, als in ihr Antlitz zu schauen. Aber das gelang ihm nicht. Der Wind verfing sich in ihrem Gewand, und er trieb sie vor sich her wie ein Boot mit geschwellten Segeln. Kaum glaubte Vinzenz, einen Teil ihrer Wange erspäht zu haben, konnte er nicht weiter und mußte keuchend stehenbleiben.

Die Seltsame ging durch den Schnee, der hier auf dem Joch noch linnendünn lag, und — dem Buben rann es schaurig über den Rücken — ihre

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