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Ein Fallada, der noch nie gedruckt wurde

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Er kannte das Milieu der kleinen Leute, aus dem er gar nicht kam, das er aber erlebt hatte, und er kannte die besseren Kreise, die er immer wieder störte, so daß sie ihn ausschlössen. Eigentlich hieß er Rudolf Dietzen, kam 1893 als Sohn eines Reichsgerichtsrates auf die Welt, flog aus dem Gymnasium, veröffentlichte 1920 seinen ersten Roman, lebte als Adressenschreiber, als Reporter, kam 1923 wegen Unterschlagung ins Gefängnis, schrieb weiter, wurde 1931 mit „Bauern, Bonzen und Bomben” bekannt und ein Jahr nachher weltberühmt.

„Kleiner Mann, was nun?” liegt in zwei Dutzend Sprachen vor, ist mehrmals verfilmt und posthum zu einem Bühnenerfolg umgearbeitet worden. 1933 erwarb Hans Fallada ein Landgut, knapp vor Kriegsende wurde er in einer Art Strafanstalt für Alkoholiker interniert, dann von den Sowjets befreit und zum Bürgermeister von Freiburg bestellt, hernach vom DDR-Minister Johannes R. Recher nach Berlin berufen, wo der unheilbare Trinker 1947 gestorben ist. Schon in den fünfziger und sechziger Jahren kam ein halbes Dutzend Romane aus dem Nachlaß heraus und 1994, noch nie veröffentlicht: „Dies Herz, das dir gehört (Zuflucht)”. Das Buch wurde 1939 in 16 Ta-en als für einen Film geschrieben, er dann nicht gedreht wurde. Begreiflich: Er sollte, als raffinierter Werbestreifen, die Story eines Amerikaheimkehrers werden, der erst im Dritten Reich glücklich wird. 25.000 Mark Honorar verlockten Fallada -und die Vorgabe der Reichsfilmkammer, daß das Wort „Nationalsozialismus” nicht vorkommen dürfe. So wurde das Manuskript denn auch, aber derart raffiniert, daß es politisch absolut nicht werbewirksam gewesen wäre. Der Virtuose der Neuen Sachlichkeit hatte Licht und Schatten in der großen Markthalle und der plötzlich florierenden Eisenfabrik viel zu sachlich verteilt.

Der mitreißende Reißer war seine Stärke. Er war ein phantastischer Reobachter, konnte schreiben, und wenn es sentimental wurde, spürte man das wahres Gefühl. Der ehemalige Sträfling kannte alles: „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt” (1934), wie es ist, wenn ein Verkommener hinaufkommt, „Kleiner Mann, großer Mann - alles vertauscht” (1940), und wie man sich rettungslos zu Tode säuft, ließ er in „Der Trinker” 1950 die Nachwelt wissen. Lange duldete ihn die NS-Schrifttumskammer, nahm seine Klagen als Anklage der „Systemzeit” hin, wurde aber ungeduldig, als er 1937 „Wolf unter Wölfen” erzählte. „Der eiserne Gustav” (1938) wurde noch akzeptiert, dann kam er in die geschlossene Anstalt. In der DDR schrieb er in seinem Todesjahr „Jeder stirbt für sich allein” (1947).

„Dies Herz, das dir gehört” ist ein echter Fallada. Die Fabrikantensöhne Thomas und Johannes sind ein ungleiches Brüderpaar, in entgegengesetzter Richtung wohlstandsverwahrlost. Der ältere skrupellos hart, der jüngere verweichlicht. Klar, daß Fallada den Untüchtigen tüchtig werden und den bösartig Tüchtigen untergehen läßt. Selbst die hochnäsige Mutter hat zuletzt die Nase voll, wird mütterlich, erkennt den sittlichen Wert der kleinen Verkäuferin aus der Markthalle, die sich nicht verkaufen läßt und den zunächst unglückseligen Johannes in Kauf nahm. Happyend, literarisch schier unerlaubt. Aber der ganze Hans Fallada war ja ein so gut wie unerlaubtes Phänomen. Bomanschluß: „,So glücklich ...' antwortet er.” Prädikat

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