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Ein Volk in Wort und Bild

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DIE DEUTSCHEN. Aufnahmen von Rene B u r r i. Auswahl der Texte von Hans Bender. Fretz-&-Wasmuth-Verlag, Zürich, 1962. 170 Seiten. Preis 22.50 sFr.

Wer von diesem Buch etwa des Rätsels Lösung erwartet, wie sie denn nun wirklich sind, die Deutschen, der wird sich getäuscht sehen. Aber man findet in den von Hans Bender ausgewählten- Texten westdeutscher Zeitgenossen — unter ihnen auch einige, die aus der DDR dorthin gekommen sind — recht aufschlußreiche und kritische Beiträge zum Thema. “Auffallend ist, daß fast alle Autoren, die sich hier mit der besonderen deutschen Wesensart auseinandersetzen und Stellung nehmen zu den aktuellen Fragen, die heute den Deutschen so bewegen oder bewegen sollten, mit einem gewissen Unbehagen kämpfen. Es geht nicht immer so weit wie bei Enzensberger, in dessen Gedicht „Landessprache“ die bitteren Worte stehen:

„Hier geht es aufwärts, hier ist gut sein,

wo es rückwärts aufwärts geht. . .“

in dem vom „arischen Schrotthaufen“ und im gleichen Atemzug von „Mutterland“ und „Mördergrube“ gesprochen wird. Koeppen beschwert sich über die noch immer blühende deutsche Überheblichkeit: „Hinter jedem Schalter läßt man die Welt am deutschen Wesen genesen...“ Die Schattenseiten des deutschen Wirtschaftswunders werden von vielen beschworen, und natürlich die Wunden der deutschen Teilung, die in der DDR erlitten und in Westdeutschland allzu oft propagandistisch ausgeschlachtet werden, während es an opferbereitem Engagement fehlt.

Zu den besten Beiträgen scheint uns ein Abschnitt aus Gudrun Tempels Buch „Deutschland? Aber wo liegt es?“ zu gehören. „Es ist nichts Präzises in den Deutschen“, sagt sie. „Die Deutschen habe* viele Gesichter, heute dieses und ein anderes morgen. Immer wieder identifizieren sie sich mit dem, was gerade ihres Weges kommt, selten sind sie gelöst, nichts mehr und nichts weniger als nur sie selbst...“

Betrachtet man die Bilder des Buches, so wird einem manchmal bänglich zumute. Nicht bei den Alltagsszenen, die sich wenigstens teilweise überall in der Welt abspielen könnten; nicht einmal bei der allzu aufdringlichen Wirtschaftswundertempoatmosphäre, die häufig eingefangen ist. Nein, es sind die Bilder, aus denen eine grenzenlose, irgendwie explosive Verlorenheit spricht, wie etwa aus dem Schnappschuß im Flüchtlingslager Marienfelde — diese Gesichter bleiben unvergeßlich. Genauso übrigens — nur mit einem anderen Vorzeichen — das Gesicht der behäbigen Spießbürgerin, die auf der Düsseldorfer Königsallee mit verbissenem Blick an einem Bettler vorbeischaut. Man denkt wiederum an einen Ausspruch Gudrun Tempels: die deutsche Gesellschaft trage ein Schild um den Hals: „Bitte, nicht stören.“ Nun, auch das gibt es anderswo auf der Welt!

Im ganzen scheint uns, daß in diesem Buch doch die dunklen Seiten des deutschen Wesens allzu einseitig ins Blickfeld rücken. Man hört die Stimme des in-

tellektuellen deutschen Nonkonformisten, der grollend anprangert, was — zum Unbehagen einer ganzen Welt — so oft geleugnet und verschwiegen wird. Diese Kritik ist also gewiß notwendig. Aber, das so entstehende Bild zeigt genausowenig wie die glänzende Fassade des klassischen Wirtschaftswunderlandes das Gericht „der Deutschen“. Der Titel verspricht ganz einfach zuviel.

*

ALPENLÄNDISCHE NACHBARSCHAFT.

Beiträge aus einer Sendereihe des Bayerischen Rundfunks. Herausgegeben von Walter von C u b e. Süddeutscher Verlag, München 1962. 244 Seiten mit 16 Photos. Preis: Paperback9.80DM, Leinen 16.80DM.

Glanzstücke dieser sehr erfreulichen Auswahl aus der bekannten Sendereihe des Bayrischen Rundfunks sind Walter v. Cubes „Begegnung mit der Schweiz“ und „Begegnung mit Österreich“ — letztere unseren Lesern schon bekannt aus dem Abdruck der „Furche“, ebenso wie Heimito von Doderers „Antwort aus Österreich“. Cube zeigt sich, besonders in seinem Vortrag „Eine bayrische Selbstdarstellung“, als geborener und bewußter Individualist, der unserer heutigen Massen-und Wohlfahrtsgesellschaft nicht nur bei jeder Gelegenheit scharfe Hiebe versetzt, sondern Gegenkräfte gegen die Verödung unserer Welt zu aktivieren versucht. Aber auch in den anderen Beiträgen wird der Eigenständigkeit und geistigen Unabhängigkeit, die im alpenländischen Raum noch blüht, ein Loblied gesungen. Das Lebensgefühl und die Atmosphäre der drei Länder Österreich, Bayern und Schweiz sind eingefangen in diesen Aufsätzen und Skizzen, ihre gemeinsamen Züge und ihre vnverwechselbare Eigenart. Und es zeigt sich auf das Schönste, wieviel sie im Erhalten und Bewahren gültiger Werte einer immer monotoner werdenden Welt zu geben haben.

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