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Erinnerungen an Hofmannstlial

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Gerne erinnere ich mich vergangener Zeiten. Es mag sein, daß die Jahre immer mächtiger werden und der Garten der Jugend voller nieverwelkender Blumen prangt.

Hugo von Hofmannsthal sah ich zum ersten Male in seinem Schlößchen in Rodaun.

Ich fuhr mit meinem Freunde Erwin Lang, dem bedeutenden Holzschneider und Maler, zu dem berühmten Manne. Es wurde in dem großen Saale Tee getrunken. Das Eis schaute in den dämmerigen, nur vom Kaminfeuer erleuchteten Raum. Draußen war es frostkalt, der Ostwind, den der einsame Dichter über alles liebte, blies um die Ecken. Ich hatte nur das Gefühl des Winters in mir und hörte bloß mit halbem Ohr auf die weichen, leisen Worte des Gastgebers. Von ihm freundlich aufgefordert, sprach ich ein paar Gedichte, die vom Erleben in meinem elterlichen Hause und Heimatdorf berichteten. Die Verse reimten sich gut, die Glut eines fernen, ewigen Götterfeuers schien aus den Worten zu leuchten. So glaubte es der Zuhorchende und nickte mir gütig und ermunternd zu. Lippen, die Verse zu sprechen versuchen, noch dazu selbstgeschaffene, sind immer scheu. Es will, auf so kindlich-ungeformte Weise oft, das Urwort zutage treten. Der Neugierige lauschte auch weiter, als ich ihm sagte, ich möchte am liebsten Sprüche oder Gebete oder Beschwörungsreime neu erfinden und erdichten. Bei der Urmelodie der Sprache also anheben und meinen Herzschlag nach diesen versunkenen Gesetzen zum Tönen bringen.

Ich sah die vielen Bücher seiner Bibliothek und den wie vom Geheimnislichte des Genius umlichteten Schreibtisch. Ich ließ mir sagen, daß der Dichter, hat er das Herz sich vollgefüllt, diesen erlesenen Raum meidet und in die kleine Gartenstube geht, die ihm für sein hartes Worteschaffen seine hilfreiche Gattin Gerty bei einer Rodauner Wäscherin gemietet hat.

Auf der Heimfahrt, in der fenstervereisten Badener Elektrischen sitzend, starrte ich in eine dunkle Zukunft, ich wußte nicht, ob ich den schmalen Weg finden würde, der zu der Golgathahöhe des wirklichen Dichters führt. Ich haßte das geschriebene Wort, ich hütete mich, etwas, was ich in mir zum Reimen brachte, niederzuschreiben, und erst später, im Atelier der Tänzerin Grete Wiesenthal, stenographierte die Tochter Hofmannsthals, Christiane, ein paar vor der großen Tanzschöpferin gesprochene Gedichte mit.

Es war das Wien der Nachkriegsjahre verdüstert. Erst allmählich drang das Licht einei wieder gesicherten Lebens' in die Herzen. Die. die an die Zukunftv glaubten, nannten und kannten einander, und immer wieder mündeten die Gespräche in den Namen des Großen von Rodaun, als eines Bewahrers der Genien und Behüters der frommgebliebenen Herzen.

Ich traf Hugo von Hofmannsthal eines milden, regnerischen Aprilvormittages einmal In der Stallburggasse, und der an diesem Vormittage Aufgeschlossene bat mich, ihn auf seinem Spazierwege durch die ihm vertrauten alten Wiener Straßen und Gassen zu begleiten. Ich mußte ihm von meinem Perchtenspiele erzählen, das ich auf seinen Wunsch für die Salzburger Festspiele zu schreiben versuchte. Er schaute auf alte Firmenschilder, kaufte sich beim Bäcker Uhl eine Semmel, nannte Wien den lebendigen Pulsschlag Oesterreichs, das ja nach dem verlorenen Krieg arm und wie ein Rumpf, den man seiner Glieder beraubte, dalag. Der österreichische Mensch, weltgeöffnet und doch wie in gesicherten Grenzen ruhend, leuchtete, so schien es mir, aus dem unscheinbar Gekleideten, der den Regenschirm zuschloß als die zagende Sonne auf einmal schien, und über die pfützennassen Gehsteige dahinschritt. Es wehte Heimat aus dem mich Weisenden und Mutzusprechenden, der sich schon die Krone des Erfolges aufs Haupt setzen konnte und der Berühmtheit den Zoll abstatten mußte. Wien schien mir einen heimlichen Herrscher zu besitzen, und die toten Habsburger ruhten selig in den Särgen der Kapuzinergruft. Es leitet ja doch der Geist die Geschicke der Völker, der Weise, auch wenn er nicht auf die Kriegstrommel schlägt und vor Kanonenrohren paradieren muß.

In Salzburg saß ich mit Hofmannsthal im kastanienbeschattten Kaffeehausgarten an der Salzach. Er ließ seinen „Jedermann“ am Domplatz spielen, das Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes. Es war heiß. Das Bett der Salzach lag wie ausgetrocknet da. Der Kaffee mundete. Die Sonne lag wie in einer roten Blutlache im Westen. Von den Türmen klang das Glockenschlagen. Es wurde kaum etwas gesprochen. Es war dies gar nicht notwendig. Mit Hofmannsthal konnte man schweigen und konnte trotzdem sich gelten lassen. Er wußte ja doch von einem, er hatte es erraten, wo das Herz den Triumph träumte, warum ein Auge von innen aus leuchtete. Er wußte von den Geschehnissen, die der Erde eigen waren, mehr als Zeitungspolitik und Ehrgeiz der Aeußerlichen, ein plötzliches Aufwehen des Windes, ein Vogelruf, ein liegengebliebenes Rosenblatt bekundeten ihm mehr als alle um ihn aufgehäuften Zeitungsstöße. Seine Nähe nährte das Gute in einem, die Hoffnung hob wieder die heimlichgesunkene Fahne.

Ich lag in der alten Badeanstalt, die am Rande des Leopoldskroner Schloßteiches vor Jahrzehnten als „Militärschwimmschule“ errichtet worden war. Die Schwüle des Julimittages lastete auf den spärlich gewordenen Badegästen. Der Untersberg leuchtete im Gewitterblau eines nahenden Föhns. Der Schweiß perlte von den nackten Leibern der Badenden. Es sagte jemand neben mir zu seinem Nachbarn: -.Schad' um ihn. Es ist nicht zu fassen. Es ist aber wahr, Hofmannsthal ist tot. Es hat ihn bei der Beerdigung seines ältesten Sohnes der Schlag getroffen.“ Ich hörte ej. Ich glaubte es.

Die Sonne glitzerte scheinheilig auf das trübgrüne Wasser des Teiches. Schwalben flogen wie von Gespenstern getrieben. Auf der Moorstraße hob sich haushoch plötzlich der Staub. Es ächzte der Föhnsturm heran. Die Badenden flohen, da plötzlich sich die Wolken vor der Sonne auftürmten, in die alten, angemorschten Badekabinen. Es blieb keine Zeit mehr, dem Ungewitter zu entfliehen. Es drosch der faustdicke Regen auf die Holzschindeln. Man war selbst wie in einem Todessarge eingeschlossen. Und doch: man lebte, man hörte das Heulen des Windes, das Schlagen des Regens. Man atmete den Duft des Wassers. Man lebte, lebte ...

Doch der, der das Leben so lang in holdseligen Versen besungen hatte, war tot, Hugo von Hofmannsthal, dieser Jemand sagte es und es sagte es ein Zweiter und Dritter — war von der Erde gegangen, die er über alles liebte, mit ihrem Donner und Regen, Wind und heiligen Sonnenschein.

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