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Es war einmal...

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Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Winkler-Verlag, München. 760 Seiten Preis 17.80 DM.

In der Vorrede zum ersten Band der Märchen schrieben die Brüder am 18. Oktober 1812, ein Jahr vor der Leipziger Schlacht: „Wir finden es Wohl, wenn Sturm oder anderes Unglück, vom Himmel geschickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen, daß noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am Wege stehen, ein kleine: Platz gesichert und einzelne Aehren aufrecht geblieben sind...“ Mehrfach schlugen die Wetter Land und Volk, Gefühl und Denken, Geist und Handeln — aber immer, wenn die dunklen Wolken verzogen, stand vor dem nächtlichen Hintergrund leuchtend ein Regenbogen in den sieben Farben des Herrn. Zu den ersten Büchern, die nach Haß und Vernichtung erschienen, gehörten immer die Märchen der Brüder Grimm. Sie sind heute, da fast genau 150 Jahre verflossen sind, seit sich die Brüder erstmals mit dem Gedanken befaßten, die deutschen Märchen zu sammeln, zu einer Millionenstimme in Dutzenden Sprachen angewachsen — und es waren doch bei der ersten Ausgabe nur 900 Stück! Zu einer Millionenstimme über Stände und Staaten hinweg, trotzdem angebliche Staatsmänner die Märchen als „bourgeoise Upberbleibsel" bezeichneten, und sich ideologisch Geschäftige fanden, welche säuberlich die Könige in Traktoristen umzauberten. Wir in Wien haben zu diesen Märchen unsere eigene Beziehung — meldete doch Jacob Grimm, als er als kurhessischer Legationsrat beim Wiener Kongreß weilte, am 10. Dezember 1814 seinem Bruder Wilhelm, daß er hier „ein schönes Märchen vom Krautesel bekommen“ habe, das ihnen gänzlich fehlte. Die vorliegende Ausgabe, buchtechnisch rühmenswert geraten, beruht im Wortlaut auf der von Herman Grimm, dem Bruder Wilhelms, besorgten einbändigen. Sie ist der Rechtschreibung nach ganz, der Zeichensetzung nach weitgehend den Gegenwartsregeln angepaßt. Am Schluß des handlichen Dünndruckbandes findet man ein Verzeichnis der Gesamtausgaben und einen Hinweis auf die Uebersetzungen. Einen bibliophilen Schmuck bilden die graphisch wohlgelungenen Reproduktionen von Zeichnungen Ludwig Emil Grimms, eines Bruders der Märchensammler, der Radierer und Professor an der Kunstakademie in Kassel war.

Deutsche Märchen vor und nach Grimm. Herausgegeben mit einem Nachwort und Anmerkungen von Ninon Hesse. Europa-Verlag, Zürich. 366 Seiten.

Die Sammlung der Grimm regte eine große Anzahl ähnlicher Unternehmungen an. Es ist der Herausgeberin zu danken, daß sie aus den verschiedenen Sammlungen, die heute nicht immer leicht zugänglich sind, 62 Erzählungen auswählte, und zwar aus den Büchern von Müllenhoff, J. W. Wolf, Haltrich, Firmenich, Sutermeister, Pröhle, Colshom und anderen, nicht zuletzt der beiden Südtiroler Ignaz Vincenz und Joseph Zingerle und sie mit 18 Schwänken und Märchen des 16., 18. und frühen 19. Jahrhunderts vereinigte. Die Rechtschreibung ist hier zwar neuzeitlich, der Wortlaut aber tunlichst unverfälscht wiedergegeben; es entsteht ein überaus buntes Bild der verschiedenen Geschmacksrichtungen und Stimmungen. Wohl können auch Kinder aus diesem Buch viel Freude schöpfen — aber in erster Linie ist es eher ein Werk für den Erwachsenen, dem das Vergleichen mit den entsprechenden Grimmschen Fassungen (erleichtert durch den Quellennachweis) viel Anregung geben wird. Es wäre für eine neue Auflage nur zu erwägen, ob nicht, wenn schon die Siebenbürger Sachsen berücksichtigt wurden, ein Nachschlagen in den Volksmärchen aus Böhmen sich lohnte. Wir verweisen nur — um einige Sammlungen herauszugreifen — auf J Milenowsky (Breslau 1853), auf Joseph Alfred Taubmann (Sagen und Märchen aus Nordböhmen, 1887), auf Wilhelm Adolf Gerle (1819, 1821) und auf losef Bendel (Wien 1915).

Deutsche Sagen. Herausgegeben von den Brüdern Grimm. Zwei Bände in einem Band. Winkler- Verlag, München. 632 Seiten.

„Wir empfehlen unser Buch den Liebhabern deutscher Poesie, Geschichte und Sprache", sagt die Vorrede von 1816 und diese Worte gelten unverrückt auch heute. Es muß mit großem Dank ver merkt werden, daß der Verlag in seine Reih „Werk der Weltliteratur" die „Deutschen Sagen — ein prächtiges Gegenstück zu den oben angezeigten „Kinder- und Hausmärchen“ aufgenommen hat. D es kein Buch ist, das man in einem Zug durchlieit, das man vielmehr je nach Neigung und Stimmung bald da, bald dort aufschlägt, ein Buch, von dem mancher gerne zu den Quellen zurückgeht, wobei Vergleiche mit anderen Sagenkreisen die etwa ange stellte Mühe vollauf lohnen, gab es — entgegen den zahlreichen ähnlichen Unternehmungen, deren Au

wähl mehr oder minder willkürlich ist — nur den einen Weg: den der Vollständigkeit. Dazu gehören die von Herman Grimm in das Inhaltsverzeichnis verwiesenen Quellenangaben und jene Zusätze, die sich im Handexemplar der Brüder vorfanden (diese Zusätze gut unterscheidbar durch die Stellung zwischen eckige Klammern). Mehr als zwei Dutzend der 585 Sagen sind quellenmäßig ausdrücklich in das alte Oesterreich mit seinen Kronländem verwiesen, andere Stücke (wie Nr. 487) zwar auf Aventin (eigentlich Johannes Turmair) und seine Annales Boiorum bezogen, aber der Umwelt nach österreichisch (Greiner Strudel) — man darf bei den Druckorten übrigens nicht schematisch suchen, denn die Nr. 147 (Eisenach 1795) spielt auch im alten Oesterreich (Gottschee, seit 1641 den Grafen Auersperg gehörig, war zur Zeit der Eisenacher Ausgabe seit vier Jahren Herzogtum). — Der schöne, bląue Ganzleinenband (Druck auf Persia-Bibelpapier) gehört in jede, auch die kleinste Häusbücherei.

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