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Ganz im Geist Schdanows

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Iljitschew erklärt erstens, was bereits von der Weltpresse öfters zitiert wurde, daß es auf ideologischem Boden zwischen Ost und West keine friedliche Koexistenz gäbe, und zweitens, was weniger „bemerkt“ wurde, aber nicht weniger bemerkenswert ist: „Die Weltreaktionäre und ihre Ideologen möchten“, sagt Iljitschew, „in der Sowjetunion die .Freiheit' der Ausbeutung, die .Freiheit' des Betruges der Werktätigen und für den Anfang zumindest die anarchistische bürgerliche .Freiheit' des Schaffens sehen.“

Merken wir uns die sonderbare Verknüpfung der wirtschaftlichen und sozialen Fragen mit der Frage der Kunst. Für solche „philosophische“ Gedankengänge haben die Russen ein sehr passendes Wort, sie nennen es „peredergivanie“, das heißt unterschieben, mogeln, unterschlagen — alles in einem Wort. Denn die Kunst hat mit den genannten Faktoren nichts zu tun. Die Kunst ist weder Politik noch soziale Funktion, wenn sie es wird, dann ist sie eben nicht mehr Kunst, sondern das, was sich Iljitschew und seinesgleichen unter Kunst vorstellen, nämlich Dienerin eines phantasielosen Geistes. Iljitschew verlangt von der Kunst, daß sie weiterhin der Partei unterstellt bleibe, der Partei diene und für das Volk verständlich und damit „wahr“ sei. Nach seiner Meinung müßte also die Wahrheit — vor allem verständlich sein ... Daß die Kunst bei solchen Voraussetzungen eine totgeborene Kunst ist und die Thesen Iljitschews genau die Thesen von Stalin und ins-besonders seines Hoftheoretikers, des verstorbenen Schdanow, sind, ist Iljitschew wahrscheinlich unbekannt. So scheint es. Aber nicht zuletzt können wir uns aus der Geschichte der russischen Literatur noch gut daran erinnern, daß gerade für die russischen Künstler Konflikte mit der Regierung (früher mit den Gendarmen des Zaren und jetzt mit dem Kriecher vor den Machthabern) zu ihrem Alltag gehören. Radischtschew, Puschkin, Dostojew-skij, Tolstoj von den alten und viele tapfere russische Künstler von den neuen gingen in die Verbannung, in den Tod oder wurden gemartert: Piln-jak, Baabel und viele andere.

Werden die Sowjets wieder eine Reihe von Märtyrern schaffen? Die

Klugen und Wissenden in der Sowjetunion müßten ahnen, daß der Künstler wohl physisch zum Schweigen gebracht werden kann, aber sie wissen genau, daß auch das Schweigen eines Künstlers einmal sein Ende hat. Wie morsch die „reaktionären“ Kreise, also die um Iljitschew herum, sind, beweist, daß sie nichts Besseres gefunden haben, als Schützenhilfe bei den alten russischen Emigranten zu suchen. Der 1925 in Prag verstorbene Dichter Ar-kadij Awertschenko war Humorist und Erzfeind der Bolschewisten. Nun hat die „Prawda“ am 21. Dezember 1962 eine seiner Grotesken über die moderne Kunst abgedruckt, doch hat sie es wohlweislich unterlassen, Abstammung oder Einstellung des Autors zu erwähnen. Wer kennt heute schon Arkadij Awertschenko, dachte sich die Redaktion. Die Groteske von A. Awertschenko wurde zu einer wirklichen Groteske: ein erzreaktionärer Dichter weißgardistischer Provenienz muß Iljitschew und Genossen Schützenhilfe leisten, damit sie in ihren Reihen „Ordnung“ schaffen können!

Einige westliche Zeitungen äußerten die Meinung, daß Iljitschews Rede eine gewisse Ähnlichkeit mit der seinerzeit berühmt-berüchtigten „Kritik“ Schdanows an der Kunst und der Literatur dm Herbst 1946 habe. Damals wurde auch ein Versuch unternommen, die im Kriege aus den Fugen geratene Einheitsfront des sozialistischen Realismus wieder zusammenzuleimen, die russischen Künstler sozusagen zu restalinisieren. Wenn auch Schdanows Reden eine Panikstimmung hervorriefen und u. a. den begabten und populären Dichter Soschtschenko zum Schweigen gebracht hatten, haben die anderen seiner Opfer Schdanow nicht nur physisch überlebt, sondern sind geradezu groß geworden, wie der noch lebende Tichonow, die Dichterin Anna Achmatowa und andere mehr. Schdanow verlangte damals von den Künstlern eine ganz bestimmte Thematik, etwa daß sie sich mit dem sowjetischen Dorfleben befassen sollten oder daß sie den Ideal typ des Sowjetmenschen der Welt in ihren Werken aufzeigten. Trotz vieler Bemühungen ist aus diesem Idealtyp nichts geworden, dafür wurde in diesen schweren Jahren in aller Stille an einigen recht guten und instruktiven Darstellungen des modernen sowjetischen Lebens gearbeitet, Pasternaks „Dr. Schiwago“ entstand damals, Solschenzyn sammelte in der Schdanow-Zeit Erfahrungen in stalinistischen KZs...

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