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Glanz von des Dichters Seide

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Zur selben Stunde da man in Deutschland den höchst problematischen Versuch macht, die gültige Verfilmung von Vicky Baums Kolportageroman „Menschen im Hotel” durch ein Remake zu übertrumpfen, erreicht uns die amerikanische Verfilmung des Bühnenstückes „Separate tables” (1954) des englischen Dramatikers Terence Rattigan. Der irreführende deutsche Titel, „Getrennt von Tisch und Bet t”. verwischt die handgreifliche Aehnlichkeit der beiden Storys, Und das hat wieder sein Gutes. Denn zwischen beiden klafft tatsächlich ein Abgrund. Während Vicky Baums Hotelgäste, müde, ausgebrannte, ins Nichts des Lebens oder Todes versinkende Schatten, von der sinnlos rotierenden Drehtüre hereingelassen, verschluckt und wieder ausgespien werden, finden Rattigans blutvolle Dichtergeschöpfe, wohl auch: Verlassene, Einsame, Entzweite, aber doch: Menschen, Ringende, Leidende in der Güte und Nachsicht den Sinn des Lebens wieder. Der Schauplatz ist eines jener trostlosen Badehotels an der englischen Südküste, die nur ein paar Sommermonate lang Talmilichter aufstecken können, dann aber wieder in die stumpfe Melancholie ihrer gräßlichen „Innenarchitektur” zurückfallen. Dort verknüpfen sich die Schicksale seltsamer Menschenpaare: eines aus Schüchternheitskomplexen schwadronierenden Subalternoffiziers mit einem Mädchen unter der Fuchtel einer tyrannischen Frau Mama, eines qualvoll sich abstoßenden und wieder suchenden geschiedenen Ehepaares, zweier verliebter Jugendlichen (die schwächste Kontur des Films) und einer Handvoll Einzelgänger aus Schicksal öder Passion. Die Knoten sind klug geschürzt, die Pointen präzise, die Lösungen sauber. Gespielt wird hinreißend. Frauen wie Rita Hayworth und besonders Deborah Kerr, deren kühler Marmorschönheit wir bisher huldigen durften, entpuppen sich als eminente Charakterdarstellerinnen, Burt Lancaster und über allen David Niven in der grandiosen klinischen Studie eines schüchternen Bramarbas sah man nie zuvor so gut. Die Durchzeichnung der Randfiguren reicht bis zum frechen Schnabel eines unglaublich englischen Dienstmädchens. „Separate tables” ist ein großartiger Film. Der Dichter Rattigan hat am Drehbuch mit„gewirkt”: es ist aus Seide. Vicky Baums Geschichte war, so denkwürdig die Besetzung ihrer Filmrollen gewesen ist, halbseiden.

Zur selben Stunde, da man von einem neuen Farbfilmplan Chaplins hört, erreicht uns mit ungebührlicher Verspätung ein „Chaplin” eigener Art, Alberto Lattuadas „11 capotto”, „Der Mantel”. Der Fdm, 1951, bedeutet dert Gipfelpunkt der sieben Filme währenden sozialkritischen Epoche Lattuadas (1.946 bis 1953), der eine konturiose (1942) vorangegangen und eine fröhlich-satirische (3 Filme zwischen 1954 und 1957) gefolgt ist. Wie Gogols „Mantel” das Herzstück des psychologischen Realismus der russischen Erzählung ist (Dostojewski): „Wir alle kommen aus dem .Mantel’ “), so zählt Lattuadas Film zuden stärksten humansozialen Dokumentationen des Neoverismo. Durch die Entrückung des Helden, der im Film den zärtlich-ironischen Namen Amandus führt, aus der russischen Welt in eine beiläufig angedeutete italienische Gegenwart, die ganz zeit- und umweltlos anmutet, wächst der Film zur ergreifenden Anklage nicht nur der seelenlosen Bürokratie und verhärteten Sozietät, sondern der menschlichen Lieblosigkeit schlechtweg. Ueberraschend versöhnlich ist der Schluß. Der kleine Buchhalter, der den Diebstahl seines Traummantels nicht überleben kann, erscheint den Ueberlebenden nicht wie bei Gogol als gräßliches, boshaftes Gespenst, sondern letzten Endes als unendlich Gütiger, Verzeihender — und Bessernder. Der große Humorist Renato Rascel hat dieser Rolle die burleske Sentimentalität unvergänglicher Chaplin- Gestalten gegeben, die Poesie der Zerbeulten, Zerquetschten und ums Glück Bestohlenen. 1951, das Entstehungsjahr des „Mantels”, ist auch das Jahr, in dem Fellini als Regisseur begann. Er wird in den folgenden Jahren im christlichen Realismus seiner drei Großfilme „La strada”, „II bidone” und „Le notti di Cabiria” alle Bitterkeit des Neoverismo restlos überwinden — ein früher Strahl davon aber leuch- fet schon aus Lattuadas „Mantel” ...

„Jakobowsky und der Oberst” ist Werfels dramatischer Schwanengesang. Ein gütiges, weises Werk, gebrannt und dem Feuer entstiegen in der Askese der Emigration; die vorläufig letzte Auseinandersetzung zwischen den feudalen Hochkulturen Europas mit sozialhumaner Demokratie. Als Sinnbilder weiter, reicher seelischer Landschaften stehen ein arroganter polnischer Kavalier und ein gescheiter jüdischer Weltflüchtling, die durch das deutsch besetzte Frankreich auf abenteuerlichen Umwegen des Herzens die Freiheit suchen und sich dabei selber finden. Komödie einer Tragödie nannte der Dichter die Geschichte, die nunmehr Hollywood erstaunlich instinktsicher in den Griff bekommen hat, in die mattschimmernde Seite des Poeten noch bezaubernde Glanzlichter hineinwebend, ja noch ihre letzten kleinen Webfehler ausmetzend. An Danny Kayes gelassenem Humor hätte der Dichter seine helle Freude gehabt. Und Jürgens’ Oberst ist eine berückende national-psychologische (preußisch-polnische) Mischung und seine beste Rolle seit des Teufels General. Sein kontrapunktischer Schmunzler „Immer mehr mißfällt — gefällt mir dieser Jakobowsky” wird lange in unserem Ohr nachklingen.

Es ist noch ein fernes dichterisches Wetterleuchten in dem herzenswarmen Film aus der Familienwelt der Italoamerikaner in į .dem Film „D Le -,s hwsrie Orchidee”, in dem Anthony Quinn mit den Strahlen eines goldenen Gemüts die Schatten auf zwei Familien vertreibt. Eine sehr disziplinierte Leistung Sophia Lorens trug von der Biennale den Volpi- Pokal heim. Ein feiner Film, den nur ein unfeines Ressentiment mit Lachen quittieren kann.

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