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Gott der Juden und der Christen

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DIE TOCHTER JEFHTHAS. Eine Legende. Von Gertrud von le Fort. Insel-Verlag, Wieskaden, 1964. 34 Seiten. Freis 8.80 DM.

Die soeben erschienene kurze sLegende“ Gertrud von le Forts „Die Tochter Jephthas“ ist ein Meisterwerk. Sie zeugt im übrigen nicht bloß von der erstaunlichen Schaffenskraft und Disziplin der betagten und leidenden Dichterin, sondern wie eh und je von deren beispielhaftem Verantwortungsgefühl ihrer Zeit und ihrem Volk gegenüber. Wieder wird auf dem Hintergrund längst vergangener Jahrhunderte die Gegenwart transparent mit dem damals wie heute geltenden Anspruch einer alle, auch die Feinde, umfassenden Liebe und Barmherzigkeit. Dieses ständige Grundanliegen der Dichterin, für die der Mensch an erster Stelle steht, findet in dem für unsere Tage wieder so aktuellen Thema des Verhältnisses von Kirche und Synagoge, von Christen und Juden, seinen besonders geeigneten Stoff. Notwendig führt dieser zu Kühnheiten der Aussage, die Gertrud von le Fort jedoch, getreu dem Gebot der Stunde, dem sie sich verpflichtet weiß, mit der größten Selbstverständlichkeit und Unerbittlichkeit auf sich nimmt.

Die „Legende“ erzählt mit ihrer „fernen Menschenstimme“, wie zur Zeit der Pest alle Juden, die sich der Zwanigstaiufe widersetzten, auf Befehl des vom Erzbischof angestachelten Königs Ferdinand von Aragonien aus Spanien vertrieben wurden, wie in Santa Rosita aber die Stadtväter, entgegen diesem Befehl und den Drohungen der Inquisition, aus Angst vor der umgehenden Pest den gelehrten Rabbi Charon ben Israel, den einzigen vertrauenswürdigen Arzt ihrer Stadt, bitten, bei ihnen zu bleiben, bis die Seuchengefahr vorüber sei. Der Rabbi sieht voll Genugtuung die Stunde der Vergeltung für all die erlittenen Verfolgungen gekommen: er weigert sich. Dies wird ihm allerdings auch nahegelegt durch das königliche und das erneute Verbot des Erzbischofs, der darauf hinweist, daß es den Christen verboten sei, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. In seinem triumphalen Rachegefühl gelobt er, jedes Dankes-öpfer zu bringen, das Gott selbst bestimmen möge. Und er muß es bringen in Gestalt seiner einzigen, geliebten, blinden Tochter Michal, die als erste in der Stadt an der Pest stirbt.

Während sie schlafend vor dem Hause saß, hatte der junge Bild-

hauer Pedro, der mit der Schaffung der Portalfiguren der Kirche und Synagoge für die Kathedrale vom Erzbischof beauftragt war, sie erblickt und in ihr endlich seine Synagoge gefunden:.....schön und edel,

von ihrer Berufung her mit allen Gnaden ausgestattet, aber blind für die Herabkunft dieser Gnaden, den Erlöser Jesus Christus.“ Sein Kuß der „Liebe und Dankbarkeit“, den sie im Schlaf gespürt hat, dieser Kuß „für alle Zeiten“, wie der Christ Pedro weiß — für alle Zeiten gehören ja Kirche und Synagoge, neues und altes Gottesvolk zusammen —, betrübt den von der Not seines Volkes erfüllten Vater ebensosehr wie er sie selbst beglückt. Zum erstenmal wird nun eine Gestalt der Synagoge geschaffen ohne die traditionelle Binde der Ver-stockung vor den Augen, denn Pedro sagt sich: „Die Synagoge war die Pforte, durch die das Heil in die Welt eintrat — ich will eine Maria aus ihr machen und sie über sich selbst hinausheben.“ Und der Tod Michals, die ihren Vater bittet, in der verhaßten Stadt zu bleiben, „weil auch Feinde Menschen und unsere Brüder sind“ und weil Gott will, daß er den Kranken beistehe, „damit das Gebot Gottes erfüllt

werde und sie nicht umsonst sterbe“, dieser Tod ist ein Opfertod ganz nach dem Bilde Christi.

Der Kraft solchen Todes vermag der neu aufflammende Raehetriumph des Rabbi angesichts der der Pest zum Opfer fallenden Stadt, dieses Gottesgerichtes, wie er gemeint hat, schließlich ebensowenig standzuhalten wie der Erzbischof. Auf die wahrhaft überlegene, als Antwort gemeinte Frage, die der Rabbi ihm einstmals gestellt hat (und die in der Tat auch heute immer wieder gestellt werden muß — das ist die Anklage nicht bloß Gertrud von le Forts gegen Kirche und Christentum), auf die Frage: „Lieben die Christen die, welche sie für ihre Feinde halten?“, antwortet er: „Nein, sie lieben sie nicht, aber künftig werden sie sie lieben ...“ Gemeinsam und (was wichtig zu sein scheint) ohne ein Wort zu sprechen, beginnen Rabbi und Erzbischof das tätige Liebeswerk vorbehaltloser Pflege und Heilung der Kranken. Denn der Gott der Juden und der Christen ist ein Gott der Liebe — das ist Seine himmlische Wahrheit, die Pedro und Michal verstanden hatten und die durch Michals Opfer nunmehr auch von Rabbi und Erzbischof verstanden wird.

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