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Große Hebbel-Aufführung
Das Innsbrucker Landestheater brachte Rossinis „Barbier von Sevilla“ und Glucks „Orpheus und Eurydike“ in stilgetreuer Wiedergabe. Die perlende Leichtigkeit der Musik Rossinis erfuhr als opera buffa eine scharmante Interpretation, die in ihrem Humor, ihrer zum Wesen der alten Komödie gehörenden karikierenden Übertreibung an die besten Traditionen der commedia dell'arte anknüpfte. Die Aufführung bewies ein sicheres Stilgefühl und hohes künstlerisches Können, für das die Mitwirkenden vom Publikum durch reichen Beifall bedankt wurden.
Geradezu aufsehenerregenden Charakter hatte die Aufführung von Hebbels„Maria Magdalene“. Bei der Premiere erzwang ein begeistertes Publikum unzählige Vorhänge. Dieses Wunder der so enthusiastischen Aufnahme eines literarisch außerordentlichen Bühnenwerkes, das aber infolge der auf ihm lastenden nordisch-protestantischen Strenge (wie bezeichnend ist es, daß Klara ein vor der Muttergottes betendes Kind beneidet) gewöhnlich bei uns einer kühleren Aufnahme begegnet, ist der Hand des Regisseurs Otto Burg er und der ungemein beseelten Darstellung der Klara durch Margrit R e b e r sowie einem einfach prachtvoll funktionierenden Schauspielerensemble zu danken. Mit außerordentlicher Feinfühligkeit ist Otto Burger in den . Geist der Dichtung Hebbels eingedrungen, den für den Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts geradezu erstaunlichen Naturalismus, der aber an zwei Ebenen Anteil hat: der realistischen und der symbolistischen Jede Szene, jedes Detail der Handlung wird zum Symbol. Eine rein realistische Interpretation würde dem Geist der Dichtung nicht gerecht werden, die sich in ihrer Vielpolig-keit manchem modernen existentialistischen Bühnenwerk nähert. Darum läßt Burger beim Aufgehen des Vorhanges die Bühne in ausweglose Nacht gehüllt sein, und er gewinnt dadurch den entscheidenden, gleichsam existentialistischen Stimmungsakkord. In der letzten Aussprache mit Klara läßt er Leonhard die Hände waschen. Bs ist durchaus naturalistisch, daß der Schreiber Leonhard nach getaner Arbeit seine Hände wäscht — aber zugleich, welch ein Kunstgriff der Regie, die erbarmungslose Gleichgültigkeit des verantwortungslosen Liebhabers auszudrücken und hinter seiner Gestalt die Vision des Pontius Pilatus erstehen zu lassen, der gleichfalls, um ein im Unbewußten bohrendes Schuldgefühl zu verdrängen, seine Hände „in Unschuld“ wäscht. Das kalte Plätschern des Wassers ist in dieser mit höchster dramatischer Spannung geladenen Szene eine geradezu quälende, atembeklemmende Begleitmusik. Hier könnte Klara zum erstenmal der Gedanke kommen, den Tod im Wasser zu suchen. Der letzten Szene gibt Burger hinter dem Türrahmen Zuschauer — auch hier wieder eine aus dem Geist der Dichtung geborene Symbolbaftig-keit. Denn der Tischlermeister Anton wurde nicht zuletzt dadurch tragisch schuldig, daß er auf die Meinung seiner Mitmenschen, seinen bürgerlichen Ruf, mehr gab als auf die Stimme des Herzens.
Schauspielerisch steht in dieser Aufführung Margrit Rebe r als getretene Kreatur im Vordergrund. Die seelische Hilflosigkeit des schwachen Mädchens, das an einem eigensinnigen, allzu strengen Vater, einem durch seine Kleinbürgerlichkeit, seine Enge schuldigen Liebhaber einer kurzen Stunde und der ebenso engen Rechtlichkeit eines geliebten Mannes zerbricht, wurde tief verinnerlicht dargestellt. Durch Ausschöpfen der psychologischen Möglichkeiten bis zur Darstellung des Unbewußten und der Stimmungsgehalte durch Regisseur und Schauspieler wurde so eine Dichtung zum vollen Theatererfolg geführt, die an sich unserem gegenwärtigen Erleben nicht mehr nahesteht, aber, wie das Beispiel zeigt, durch höchste Kunst wieder zu verlebendigen war.
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