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Hermann Brock f

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Am. 31. Mai hatten wir die wenigen Zeilen gelesen, die den Tod Hermann Brochs meldeten. Tage nadiher traf in Wien ein Brief in. Der Empfänger, Brochs langjähriger Freund George Saiko, selbst ein bedeutender Dichter, war durch Broch mit einem Züricher Verleger in Verbindung gekommen und dabei nicht gut gefahren. Darauf beziehen sich Brochs anteilvolle Worte.

Und da er gerade vom Romansdireiben spricht, ist er wie von selbst mitten in dem Thema, das ihn Zeit seines Lebens quälend beschäftigte. Denn er war dem heutigen Gerede über die Problematik des Romans weit voraus, hatte er es doch mit seinem Essay über „Joyce und die Gegenwart“ zu einem Gutteil selbst in Gang gebracht.

Auch das andere Thema, das in allen seinen Äußerungen ständig wiederkehrte, ist in diesem letzten Brief beherrschend: die Angst, die Ernte seines Lebens nicht mehr einbringen zu können, die Torschluß* panik, wie er es nannte.

In Broch verdichtete sich die poetische und die philosophische Bemühung zum Seherlum. Und solange der Nachlaß nicht gesichtet ist, wird uns verborgen sein, welche der beiden Begabungen die bedeutendere war. Der Mensch Broch blieb zeitlebens Kampfplatz dieser beiden Antriebe.

Und so ist dieser Brief wie eine letzte Momentaufnahme seiner irdischen Erscheinung:

78 Lake Place, New Häven 11, Conn. 20. 5. 51

Guter Goß, soeben ist Dein Brief vom 9. eingetroffen. Sei bedankt. In der Verlagsfrage fühle ich midi nadi wie vor bedrückt. Ich zweifle nicht am Zustandekommen einer neuen Verlagsverbindung, aber es wird seine Zeit brauchen. Das Buchgeschäft geht allüberall elend, sogar in Amerika (und zwar hier wegen der Televisions), und wenn sich der heutige Mensch schon ein Buch kauft, so will er Fakten, aber nichts Ausgehecktes geliefert bekommen. Seit zwanzig Jahren prophezeie ich diesen nunmehr sich etablierenden Zustand, einfach weil ich ihn für logisch halte.

Dichterisch sind die Möglichkeiten der Romanform durch Joyce erschöpft, ja überschritten worden, und soziologisch ist das „gute Buch“ eine Sommerfrischenangelegenheit der bürgerlichen Frau gewesen, hat also keine Funktion mehr.

Die Narrheit, von der Du sprichst, besteht im Festhalten an dieser Produktionsgattung, und da ich — im Gegensatz zu Deinem verbissenen Wahn — hierin nicht mehr mittue, darf ich mich auch gegen die mir zugemutete Narrheit wehren.

Natürlich mache ich trotzdem noch diesen Roman 1 für Knopf4 fertig, und aus sozusagen künstlerischen Gründen würde er sogar auch noch die Ergänzung durch einen zweiten Band erfordern. Den werde ich aber kaum mehr machen. Die Einschiebung der „Schuldlosen“ 4 und dieses Buches hatte eine desaströse Wirkung auf mich, nicht nur in der Überarbeitung, sondern auch in der entsetzlichen Panik, mit der ich sehe, daß ich meine dreißigjährige Arbeit in Mathematik, Erkenntnistheorie und Massenpsychologie nicht mehr werde beenden können.

Das Resultat war Zusammenbruch, also Herzdefekt und Spital, aus dem ich soeben entlassen bin. Anch' io sono pittore, wie Du siehst. Die Europafahrt ist dadurch wieder verschoben, doch im Laufe des Sommers hoffe ich reisen zu können, um so mehr als ich gründliches Ausruhen brauche. In Österreich würde ich im Frühherbst eintreffen, doch wäre es mir lieber, wenn ich Dich außerhalb Wiens (wo ich mich so kürz wie nur möglich aufhalten möchte) treffen könnte. Vor allem warte ich jetzt hier mein Kind ab; ich bin froh, daß es auf Dich einen guten Eindruck gemacht hat.

Immer Dein alter H.

1 „Demeter oder die Verzauberung.'

5 New-Yorker Verlagshaus.

* Bei Willi Weismann, München.

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