6731539-1965_51_12.jpg
Digital In Arbeit

Humaniores litterae

Werbung
Werbung
Werbung

JOHANNES RKl'CIILIN UND SEIN KAMPF. Eine historische Monographie. Von Mv B r o d. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, 1965. 351 Seiten, 8 Textabb., 8 Tafeln. 28 DM.

Der Altmeister der Prager deutschsprachigen Literatur hat den Geschichtsfreunden einen Dienst erwiesen, indem er das Leben des alemannischen Humanisten beschrieben hat. Mit vollem Recht hat er die meiste Aufmerksamkeit dem ideengeschichtlich bedeutsamsten Element dieses Lebens gewidmet, Reuchlins Kampf: dem Kampf für die Daseinsberechtigung der jüdischen Literatur und gewissermaßen für die des jüdischen Volkstums. Um was ging es bei diesem „Talmudstreit“? Im letzten Abschnitt der Regierung Kaiser Maximilians I. geschah, was damals, vorher und nachher mehrmals vorgekommen ist. Ein Jude wurde zum Christentum bekehrt und erhob schwere Anklagen gegen seine Artgenossen. Die Christen betrachteten ihre jüdischen Nachbarn ohnedies mit leichtgläubigstem Mißtrauen; wenn sie den Angaben eines geborenen Juden ohne weiteres glaubten, ist ihnen das noch am wenigsten vorzuwerfen. (Wenn heute ein Adeliger Skandalgeschichten über seine Standesgenossen veröffentlicht, findet er ja bei demokratischen Lesern auch nicht eben mißtrauische Kritik.) Jedenfalls fand der betreffende Konvertit namens Pfefferkorn Rückhalt bei der „Gedankenpolizei“ der damaligen abendländischen Christenheit, dem Predigerorden; es ergab sich nun ein bitterer Streit, auf den sich alle Zersetzungserscheinungen der vortri-dentinischen Kirche auswirkten. Der Autor schildert ihn sorgfältig und objektiv. Schreiber dieses weiß sehr wohl, was herauskäme, wenn er etwa die jüdischen Lehren von der Herrlichkeit Gottes zu beschreiben sich unterfinge; es ist also auch dem

Autor kein Vorwurf zu machen, wenn ihm dieser und jener Irrtum über katholische Lehren und Einrichtungen zustößt. Es liegt in der Sache, und der Autor verhehlt es nicht, daß von den Konflikten jener Zeit auf die scheußliche Vergangenheit unserer Generation exemplifiziert wird. Da kann nun manches, was der Autor bringt, zu Erklärung des Geschehenen betragen. Er fragt zum Beispiel, wie Heinrich Heine dazukam, einen Luther zu bewundern, der sich zur Judenfrage doch mit entsetzlicher Roheit geäußert hat? Nun, Heine war der Poet der Liberalen; und den Liberalen — gleichviel, welchen Bluts — war jeder Stock gut, um damit die Röm-linge zu prügeln. Sie sagten es ja: der Klerikalismus, das war der Feind. Nachdem man das generationenlang gesagt hatte, wunderte man sich nachher, warum der Papst nicht ä la Gregor VII. ein deutsches Reichsoberhaupt durch einen Bannstrahl entthronte... All diese Fragen sind ja aktuell geblieben. So wurde zu Reuchlins Zeiten über die zwölfte Bitte des jüdischen Tagesgebets disputiert, die der Autor im Wortlaut aus dem friedlichen Vormärz zitiert. Doch gehört hat sie der Himmel in dem Wortlaut, wie er vormals üblich war: „ ... und das stolze Reich möge rasch entwurzelt und gebrochen werden und aufhören; und alle unsere Feinde mögest du demütigen rasch in unseren Tagen.“ — Besonderen Dank schulden wir dem Autor für den Bericht über das echte Bildnis seines Helden; möchten doch alle Biographen es so halten!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung