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Im nachbarlichen Urteil

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Der Oltener „Morgen“ hat neulich der „Furche“ in seiner bekannten Beilage „Christliche Kultur“ eine Besprechung gewidmet, begleitet von einem feinsinnigen Urteil über den Österreicher, das viele Landsleute in dieser für uns mit Schmerzen erfüllten und zu großen Pflichten rufenden Zeit dankbar hören werden. Die Worte von dieser hohen Warte europäischer Publizistik sind für uns ein Gruß, der neuerlich die freundnachbarlichen Gesinnungen bezeugt, die in der Schweiz dem um seine geistige und staatliche Wiedergeburt und Freiheit ringenden Österreich entgegengebracht werden. Deshalb und weil dieser Gruß einen Kreis angeht, der weit über den Raum einer bescheidenen Redaktion hinausgeht, sei hier diese Schweizer fachgenössische Stimme wiedergegeben, die mit einem Glückwunsch beginnt zu dem „christlichen Optimismus“, mit dem die „Furche“ ihren Weg verfolge, und dann fortsetzt:

Alles ist ja nicht ausgefeilt. Wer schon wollte dieses Ansinnen an eine Wochenzeitung stellen, die zwar nicht ganz so, aber fast wie die Tageszeitung von der Hand in den Mund leben muß! Man lasse die Leistung( die ganz verblüffende Leistung gelten, die in einem Land möglich wurde, das eben aus schwarzer Nacht sich mühsam zum Tag erhebt und darum mit politischer, sozialer und also auch geistiger Problematik geladen ist! Schon der Rahmen überrascht. Wöchentlich eine sechzehnseitige Zeitung unseres schweizerischen Zeitungsformats, darin eine zahlreiche und wechselnde Mitarbeiterschaft zu den Zeitfragen Stellung nimmt, die einen abendlandisdien Österreicher beschäftigen. Denn die „Furche“ hat sich der Renaissance jenes abendlandisdien Geistes verpflichtet, den Hitler in die Katakomben geschickt und der jetzt in einer veränderten Welt sich neu sein Daseinsrecht erkämpfen will.

Abendländer sein heißt fürs erste, sich eins wissen mit der Heilsbotschaft, und zweitens den universalen Gottesgedanken in die „Furchen“ von Staat und Gesellschaft legen und derart Kultur schöpfend und Kultur wahrend arbeiten. Das tut die große „Furch e“-

Gemeinschaft der Gelehrten, der Kritiker, der Dichter und der Politiker, Männer der alten und der jungen Generation. Viele dem nichtösterreichischen Katholizismus bisher unbekannte Namen tauchen auf, darunter ausgezeichnete Federn, die über jene wundervolle Leichtigkeit des Stils und des Ausdrucks verfügen, der den schwerflüssigen alemannischen Schweizer neidisdi machen kann. Stifter-Blut rollt in diesen Adern und Bruckner singt aus ihren Zeilen. Der Österreicher ist eben ein Künstler und lebt vom Schönen oder anders gesagt, er bleibt ein barocker Mensch, der uns in editer Sinnenfreudigkeit von der Niedertracht und Banalität erlöst. Immer wieder steigen Zweifel auf, ob er über die Robustig-keit und den nüchternen Blick verfügt, ohne den der Staat in der Wirklichkeit nun einmal nicht auskommt. Oh, man braucht nicht an Hobbes zu glauben und mag es nicht wahrhaben, daß der „Mensch dem Nebenmenschen ein Wolf“ sei. Ohne ein bißchen „Wolf“ aber scheint's nicht zu gehen. Selbst das Bißchen jedoch ward dem Österreicher nicht geschenkt. Er ist halt ein Wesen, das in seiner besten Ausgabe zwischen Himmel und Erde lebt. Aber auch ihn kann die Welt nicht entbehren, gerade ihn nicht. Denn was ist sie ohne das Gute und Schöne jener Geschöpfe, die mit dem Sinn für das Ideale begnadet sind? Drum gebe man dem Österreicher einen Staat, der ihm erlaubt, in der schöpferischen Idee zu schwelgen — und er wird Großes leisten! Ein jedes Volk hat seine Begabung und deshalb seine spezielle Sendung. So wäre gerade der Fall Österreich ein Schulbeispiel dafür, daß der beste Weltenbauer ist, wer solche Begabung und Sendung nicht mißachtet und sie mit den großen Eigenschaften anderer Völker in Einklang bringt. Erst im Zusammenspiel werden sie sich zum Wohl der Menschheit entfalten. Aber es heißt ja ein Phantast sein, sich derartigen Träumereien hinzugeben, wo bloß der Bizeps als Bomber und Tank und Kapital das Wort hat!

Oder ist gerade der Geist der „Furche“ berufen, diesen Ungeist zu bezwingen? Vielleicht, wenn die Alten und Erfahrenen mit dabei sind, die um die Klugheit wissen, ohne die der ideale Mensch ein Opfer der Kinder dieser Welt wird! Es mag ein Vorrecht der jungen, im Untergrund und im Widerstand gestählten Generation sein, die Führung zu übernehmen. Aber sie muß auch wissen, was vor der schwarzen Nacht war, selbst vor Hitler und vor dem Zusammenbruch von 1918. Und sie sollte es erlebt und begriffen haben! Drum ist es eine Genugtuung, den alten Wissenden zu begegnen, soweit sie nicht der Sturm gelegt hat. Ja, es fällt auf, wie sie mit Bedächtigkeit und Wohlabgewogenheit ans Werk gehen, seien sie ehemalige Minister, einstige Chcf-redaktoren, zu Jahren gekommene Professoren aller Fakultäten, gereifte Erzieher und durchs Fegfeuer dieser Erde gejagte Seelsorger. Sie alle bauen mit den jungen Menschen am neuen Österreich. Und das mit einer Weltweite, die einmal mehr bestätigt, daß erst im Kleinen das Große wachsen kann. Wohlan denn, in der „Furche“ steigt ein Mensch aus Trümmern, dem wir die Hand reichen sollen, weil er ein anständiger und ein großer Mensch ist! Die Natur hat gottlob den Österreicher mit einer ausreichenden Portion Selbstkritik bewaffnet. So werden wir in der „Furche“ uns auch nicht darüber täuschen, welche Vorbehalte wir für die Gültigkeit dieser Anerkennungen zu machen haben. Und ebenso wissen wir, daß dieses Urteil uns zu neuem Bemühen verpflichtet.

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