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JEAN COCTEAU / DER ERNSTHAFTE SPIELER

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Wollte man Cocteaus proteus- artige Persönlichkeit charakterisieren, dann wäre es eigentlich viel leichter zu sagen, was er nicht gewesen ist, als die Kunstgattungen beziehungsweise -formen aufzuzählen, die er immer mit einem Hauch Genialität vertreten hat. Frühreifer Dichter, Romanschriftsteller, Essayist, Dramatiker, Filmregisseur, -autor und -schauspieler, Causeur und Raconteur, Zeichner, Maler und Freskist..nicht nur ein vielseitiger Autor, sondern auch ein Animateur, ein Entdecker von neuen Talenten, der Magnetpol von Musikern und Künstlern, Freund und kongenialer Mitarbeiter der größten Komponisten.

In seiner gewiß reichen kulturellen Vergangenheit hat Frankreich selten einen Mann wie Cocteau besessen. Mit beinahe allen künstlerischen Talenten begabt, hat er in allen Bereichen der Kunst, wenn nicht neue Wege eingeschlagen, so doch durch seine Originalität alle Kunstfreunde, Liebhaber oder Berufskünstler ständig in Atem gehalten. Er ist, an manchen geschichtlichen Wendepunkten in der modernen und zeitgenössischen Entwicklung der Musik, der Literatur und des Films immer lächelnd die Fahne eines schließlich gesunden Nonkonformismus hochtragend, ein flackerndes, aber auch zukunftweisendes Licht gewesen.

Dieser überquellende Reichtum, dessen etwas kaleidoskopisches Gleißen Bewunderung und zugleich Erstaunen hervorrief, wurde ihm schon manchmal angelastet: Proteus sei eher ein Harlekin gewesen. Man würde freilich in seinem Gesamtschaffen vergebens nach einer einheitlichen gedanklichen Grundachse suchen, nach der logischen und bewußten Vertiefung eines einzigen Zentralgedankens, nach einem unbeirrbaren weltanschaulichen Bekenntnis. Er hatte sich eine Zeitlang gutwillig in Maritains apostolischen Eifer geschickt: dieser religiöse Dialog war aber anscheinend kein Weg nach Damaskus. Gewisse Stellen aus seinem Theaterstück „Bacchus“ haben ihm sogar traurige, wenn nicht skanda- lisierte Bemerkungen seines alten und treuen Freundes Mauriac eingetragen.

In seiner unnachahmlichen Art aber, als geistvoller, immer „salonfähiger“ Franktireur von Beruf, hat er stets verstanden — ein geschickter Grenzgänger auf der Schneide des Sichtbaren und des Unsichtbaren, des Materiellen und des Seelischen, der banalen Wirklichkeit und des poetischen Traums, — eine Welt der Phantasie, der Phantastik und des Surrealen heraufzubeschwören, die für ihn viel interessanter war, als die undurchdring liche, oft so entmutigende Alltäglichkeit, und die er uns dank der Magie des Wortes und der Inspiration sichtbar, dank der Zauberkraft der Komödie und der Ironie schmackhaft und manchmal hinreißend machte. Gleich der Clau- delschen Muse, der „nimmermüden Thalia“, hatte er das „große Geheimnis“ entdeckt, „das unauslöschliche Lachen zu schöpfen“, und er hielt, „wie man ein misch- leibig Tier begafft, die riesige Maske, die Schnauze des Lebens, den grinsenden furchtbaren Balg“, in seiner Künstlerhand. Denn er hatte es „entrissen, das große Geheimnis der Komik, die anpassende Falle, die hinüberverzaubernde Formel“.

Darum war er selbst fähig, in Bereich des Geheimnisvollen unc des Unbekannten zu verweilen unc auch legendäre Figuren oder die Schöpfungen seiner eigenen Phantasie jenseits des Sichtbaren schalte? und walten zu lassen. Wobei er aui die seltene Gabe eines tiefschürfenden Analytikers der menschlicher Seele nie verzichtete, die es manchmal mit dem Scharfsinn der bester Exponenten des psychologischer, Romans aufnehmen kann.

Eben durch all diese kontrastierenden Talente — und selbst, wenr einige von ihnen die menschlicht Substanz nur oberflächlich gestreif, haben — war und bleibt Cocteai ein faszinierender Vertreter jene/ Spezies von Schriftstellern — Dichtern und Denkern des menschliche/ Daseins —, die im Rahmen dei abendländischen Kultur immer wieder erscheinen, und welche der Namen echter Moralisten verdienen, ohne jeden Beigeschmack vor indiskretem und übrigens kraftlosem Moralisieren. Denn Cocteai mag wohl manchmal den Eindruck erweckt haben, sich selbst zu amüsieren und sein Publikum zu „foppen“, sich selbst und die marionettenhafte Komödie des Lebens ironisch zu betrachten. Mit dem Menschen hat er aber nie gespielt bloß um des Spieles willen. Mit dem Menschen hat er nie im Geist des heutigen Absurdiums sarkastisch oder schadenfroh experimentiert. Und dies könnte eben die alles an sich reißende Kraftlinie seines Schaffens und seiner Gedankenwelt sein: Er liebte aus tiefstem Herzen den Menschen, er glaubte an ihn. er achtete das menschlich Seelische, er war ein dezidierter Anhänger einer wahren menschlichen Freiheit als Existenz- und Kunstwert. Denn das Spielerische seiner Kunst war keine Gleichgültigkeit an der Sache des Menschen.

In seiner reizvollen und entwaffnenden Natürlichkeit dürfte wohl Cocteau sämtliche „großen Worte“ und „Ismen“ verlacht und gehaßt haben. Sagen wir es doch geradeheraus: Cocteaus Menschenauffassung bleibt, auch wenn er sich nicht immer zu einer fest katalogisierten Weltanschauung bekannt hat, im Vergleich mit manchen modernen Geistesströmungen, die seine Generation in einem halben Jahrhundert miterlebt hat, die eines aufgeschlossenen und sogar traditionellen Humanisten. Darum war er auch im wahrsten Sinne des Wortes ein Mensch. Er besaß nicht nur einen unwiderstehlichen Charme, sondern auch ein goldenes Herz, er konnte keinen Feind haben, er hinterläßt nur Freunde. Carminum conjector, vale, te amabam, tibi vale dico …

Andre Espiau de La Maestre

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