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JOHANNES ROBERT BECHER / WEG EINES GESCHEITERTEN

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Am 11. Oktober 1958 starb in Ost-Berlin Johannes R. Becher, Minister für Kultur der Deutschen Demokratischen Republik, im Regierungskrankenhaus nach längerer schwerer Krankheit. Sein Leben war ein einziges Kranksein, von dem er nie gesundete, ein einziger Schrei, der immer heiserer, immer verkrampfter wurde. Der letzte Dichter des deutschen Expressionismus starb als Funktionär einer Parteimaschine, die erbarmungslos andere Menschen zermalmte und ihm ein Plansoll an Poeterei abnötigte, das Schauder erregt. Der Verfasser der Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik, der Wandsprüche für die Baracken der sowjet-zonalen „Freien Deutschen Jugend“ und der Tageslosungen für die Thälmann-Pioniere war einst ein junger deutscher Dichter, mit dem Hermann Hesse, Klabund, Thomas Mann und viele andere deutsche Autoren freundschaftlich verkehrten.

Vielleicht ist Johannes R. Becher, der Sohn eines angesehenen Münchner Oberlandesgerichtspräsidenten, bereits mit 19 Jahren gestorben, nicht erst mit seinen 67 Kalenderjahren: damals, als er beschloß, mit seiner Freundin, einer Zigarrenverkäuferin, aus dem Leben zu gehen. Kleist war das Vorbild des jungen, exaltierten Schwärmers; die Folgen aber sahen anders aus. Gleichzeitig drücken, wie verabredet, die Geliebten die gegenein-andergerichteten Pistolen ab. Sie stirbt, er wird von den Aerzten und nachher vom Gericht gerettet. Und nun schleudert der junge Mann seine Wortexplosionen in die Welt hinaus: eine einzige Anklage gegen die deutsche Gesellschaft, gegen den Krieg, gegen Hindenburg, gegen den „Kapitalismus“. Der ihm in seiner Frühzeit nahestehende Klabund charakterisiert sein Werk damals in seiner Literaturgeschichte: „Es finden sich wundervolle einzelne Strophen und Weisen in allen seinen Büchern, die der sozialistischen Revolution dienen wollen, aber kaum ein vollendetes Gedicht. Der Wille zur These übertönt den Willen zur Form.“

Becher lebte bis 1933 in dem turbulenten und sämigen München zwischen Eisler und Hitler, mehrmals in Haft, einmal hat er persönlich den Oberreichsanwalt zum Einschreiten aufgefordert, um für sein Werk vor Gericht einstehen zu können. Ein Amoklauf? Ein Rasender? — In letzter Minute gelingt es ihm, vor der Machtergreifung Hitlers 1933 zu fliehen: nach Oesterreich, dann in die Schweiz, dann in die Tschechoslowakei, dann nach Frankreich. Endstation Rußland. Von hier kehrt er kurz nach Kriegsende nach Deutschland zurück, wirft sich sofort an die Front, nimmt den alten Kampf wieder auf. Nun wird Johannes R. Becher der oberste

Funktionär der politischen Spruch- und Prosaproduktion der Deutschen Demokratischen Republik. 1950 wird er Vizepräsident der Akademie der Künste, 1954 Minister für Kultur. Dazu kommt eine ganze Reihe anderer Aemter und Ehrenstellen, die den obersten Apparatschiks der Kulturmache vorbehalten sind. Gleichzeitig gerät Becher in eine von Tag zu Tag härter werdende innere und äußere Isolierung.

Die übrigen Parteiführer der SED glauben ihm seine Parteitreue nicht ganz, da er es doch nich't lassen kann, immer wieder Worte und zumindest kleine Taten der Intervention für verfolgte Geistesarbeiter zu setzen, die jedem anderen in seinem Bereich den Kopf gekostet hätten. Das Mißtrauen in der Ostzone gegen ihn wird nicht geringer durch die öffentliche Stellungnahme seiner Frau und seines Sohnes, John T. Becher, die sich von ihm losgesagt haben und in London leben. Der Absagebrief seines Sohnes, der mit den Worten schließt: „Unsere Wege haben sich getrennt“, geht durch die ganze Presse der westlichen Welt.

Verzweifelt, müde, resigniert sucht Johannes R. Becher auf seine Weise in den letzten Jahren seines Lebens Kontakte im Westen; so reist er nach München, stellt sich in der Scholastika seinen Kritikern und Gegnern des Systems, für das er Ms zuletzt eintritt. Wie man erfährt, sehnte sich der sehr gealterte Mann nach München zurück, in die alte Heimat. Er hat sie früh verloren und nicht wiedergefunden. Der Westen wird ihm kein Denkmal errichten. Für eine Generation zwischen den Zeiten stellt das Leben des Johannes R. Becher jedoch eine unüberhörbare Mahnung dar: was aus einem Menschen werden kann, der doch begabt und begnadet war, mit der Gabe des Wortes und Sanges; der sich verlor, weil er das Maß nicht fand.

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