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Junge Maler im Künstlerhaus

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In den Räumen des Künstlerhauses stellen 290 junge und zumeist noch unbekannte Künstler aus allen Österreichischen Bundesländern ihre Werke aus; Hängung und Jury besorgten sie selbst. Man hat ihnen bald nach’ der Eröffnung der Ausstellung den Vorwurf gemacht, es fehle ihnen an revolutionärem, vorwärtsdrängendem, stürmendem Geist, eine Behauptung, die bis zu einem gewissen Grade stimmt. Doch wäre es falsch, diese Beobachtung zu einem Werturteil zu erheben und damit die Kunst der Jungen zu denen in diesem Fall auch Vierzigjährige gezählt werden mit den Epitheta „traditionalistisch" oder gar „reaktionär” zu belegen. Solche Kriterien sind einer Zeit angemessen, in welcher eine rasche Entwicklung in der Kunst auf die Zertrümmerung alter und beengender Formen abzielt; unter solchen Verhältnissen gelten die kräftigsten oder nur lautesten Stürmer und Dränger als „Avantgardisten", ein Wort, das nicht zufällig aus dem Vo- kabular der politisch Radikalen stammt.

Die Dinge und Namen ändern jedoch oft wunderlich ihren Wert. Heute ist auch in der Kunst die Begeisterung an revolutionären Gesten geschwunden, und die sich überstürzende Abfolge von Stilen ist, wie es scheint, endgültig zum Stillstand gekommen. Wogegen sollte der Künstler auch noch Revolution machen? Er hat sich in schweren Kämpfen von jeder Bindung befreit — so völlig befreit, daß er wie in einem luftleeren Raum steht, durch den seine Stimme nicht mehr zu dringen vermag. Die Verwirrungen und Schmerzen, die seine Vorgänger in ihren Werken verkündeten, sind unterdessen Wirklichkeit geworden und bedürfen von seiner Seite keiner Kommentare. Kein Wunder, daß nun eine rückläufige Bewegung einsetzt, der Künstler wieder Bindungen an die menschliche Gemeinschaft anstrebt und ihn das Unbehagen, das ihn angesichts der Zerrüttung von Mensch und Kunst ergreift, antreibt, neue Formen zu suchen. Wenn nicht alle Zeichen trügen, ist für die zeitgenössische Kunst die schon ein halbes Jahrhundert dauernde Phase Her Labilität im Abklingen; sie tritt offensichtlich in eine statische Periode ein, in der Stile langsamer entstehen und reifen: eine Zeit des Aufbaus auch in der Kunst. Die Unentwegten, die weiterhin das schon Zerstörte zerstören wollen — sie nennen sich immer noch gerne „Avantgardisten" — werden in diesem Entwicklungsabschnitt zu Hemmenden, zu Traditionalisten einer Revolution, die nach den Ereignissen der letzten Jahre so unsinnig ist wie sie in den zwanziger Jahren sinnvoll, ja notwendig war.

Von diesem Standpunkt aus gesehen, rücken die Ölbilder und Graphiken an den Wänden des Künstlerhauses in ein neues Licht. Nicht, daß die jungen Künstler auf dem Weg zum Neuen fortgeschritten wären oder ihn auch nur schon betreten hätten. Sie befinden sich auf jenem Nullpunkt, von dem aus der Pendel nach beiden Seiten schwingt. Sie suchen Orientierung und versuchen bald hier, bald dort, bei Älterem oder Jüngerem Ansatzpunkte zu finden: van Gogh, Cezanne, Dali oder Matisse werden, wohl nur im Vorbeigehen, als Vorbilder angenommen.

Diese Stellung auf dem Nullpunkt hat ihre Gefahren; die Richtungslosigkeit lockt zum Verharren im Unverbindlichen, zur Nachahmung fremder Sprachen und zur Routine im Nebensächlichen, kurz zu Surrogaten wirklicher Bemühung, von denen ein Teil der gezeigten Dinge spricht. Dennoch, die Ruhe, die derzeit im Künstlerhaus herrscht, hat mit Lethargie nichts zu tun; sie gleicht eher jener Stille, die immer eintritt, wenn sich die Entwicklung nach einer neuen Richtung wendet, einer Stille, in der sich Besinnung freilich noch mit Unsicherheit und Ratlosigkeit mischt. Daß in diesem Zustand nicht viele Produktionen von hohem Rang zu erwarten sind, leuchtet ein: doch ist noch alles zu erhoffen.

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