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Junker ohne Reue
LETZTER HERR AUF NESCHWITZ. Von Arnold Frhr. v. Vietinghoff-Riesch. C.-A.-Starke- Verlag, Limburg a. d. Lahn. 416 Seiten
LETZTER HERR AUF NESCHWITZ. Von Arnold Frhr. v. Vietinghoff-Riesch. C.-A.-Starke- Verlag, Limburg a. d. Lahn. 416 Seiten
Das Wort Junker hat keinen guten Klang. Es verband sich schon in der Wilhelminischen Aera, und nicht allein in der Vorstellung doktrinärer Sozialisten, mit dem Begriff des Reaktionären besonders unsympathischer Art. Hochmut und Ueberheblich- keit, übertriebener Adelsstolz, überspitzter Nationalismus und kriegerisches Gehaben, Mangel an elementarstem sozialem Empfinden waren nach weitverbreiteter Meinung charakteristische Merkmale des preußischen Junkertums; einer Gesellschaftsschicht,
die nach dem Zusammenbruch von 1918 und in einer Zeit, da der im Namen des Fortschritts hochgezüchtete Neid, und der Neid insbesondere gegen die Träger alter Namen und Inhaber altererbten Besitzes, zu einem politisch entscheidenden Faktor geworden war, überdies noch mit dem Vorwurf belastet wurde, hauptverantwortlich gewesen zu sein für die verhängnisvolle Entwicklung, die die preußisch-deutsche Geschichte seit bald hundert Jahren genommen hat. Im Licht der Ereignisse zwischen der nationalsozialistischen Machtergreifung und dem Untergang des „tausendjährigen Reiches“ hat dieses Urteil sich nicht gemildert; im Gegenteil. Gerade auch dort, wo eine bessere Einsicht zu erwarten gewesen wäre, in den konservativen Kreisen des Lagers der Alliierten, wollte man es sich nicht nehmen lassen, daß es „die Junker“ gewesen seien, die Hitler in den Sattel gehoben, ihn nach Kräften unterstützt und die Durchführung seiner brutalen Expansionspolitik mit allen Mitteln gefördert hätten. Man verwarf sie samt und sonders, gleichermaßen wie das Nazitum und das nationalsozialistische Gewaltsystem, und dabei blieb es, ungeachtet des heroischen und opfervollen Einsatzes so vieler Mitglieder jener Gesellschaftsklasse im Zusammenhang mit der Aktion des 20. Juli 1944; und man dachte an eine Revision des Schuldspruchs auch dann nicht, als bei Kriegsende in den sowjetisch besetzten Gebieten Deutschlands die adeligen Gutsbesitzer die ersten waren, die dem kommunistischen Terror zum Opfer fielen.
In dem hier rezensierten Buch nun kommt einer jener Verfemten zu Wort. Vietinghoff-Riesch macht kein Hehl daraus, welchem Stand er angehört. Er ist ein Junker, und, wie er sich selbst im Untertitel seiner Autobiographie bezeichnet, ein Junker ohne Reue. Seine Lebensgeschichte, die fünfzig Jahre umfassend von der Geburt des Majoratserben auf Schloß Neschwitz bis zum letzten tragischen Abschied von der verwüsteten und enteigneten Heimat im Frühling 1945, ist bemerkenswert nicht bloß als der anregend und bildhaft geschriebene Bericht über ein bewegtes und wechselvolles Einzelschicksal; sie ist ein ausgezeichnetes Plädoyer für die Gesamtheit des ehemals grundbesitzenden Adels im deutschen Osten, eine Rechtfertigungsschrift, die um so überzeugender wirkt, als der Autor neben den Vorzügen und den historischen Verdiensten dieser Kaste auch ihre Fehler und Schwächen in früherer und neuerer Zeit sehr deutlich unterstreicht. Freilich, als ein typischer Vertreter des altpreußischen Junkertums ist der letzte Herr auf Neschwitz, man möchte sagen leider, nicht anzusprechen. Er entstammt der Lausitz; und in seiner Objektivität und Toleranz, seiner
Weltaufgeschlossenheit, seiner Noblesse, glaubt man eine Spur der alten Bindungen seiner heimatlichen Erde an Prag und Wien, an die böhmische Krone und Habsburg, zu entdecken.
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