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Kellernotizen

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• Das „Verhängnisvolle Liebesspiel“, von den Brüdern Karel und Josef Capek um 1910 geschrieben, ist naives Theater, wie es sich der „späte“ Brecht vorgestellt haben mag. Das ist auch der Grund, warum der heutige, in krampfartiger Panik nach Aussagen suchende Theaterbesucher die sehr gute Aufführung des Stücks im „Ateliertheater am Naschmarkt“ ziemlich ratlos verläßt. Dabei skizzieren die Brüder Capek hier mit den Typen der Com-media dell'arte einen Modellfall: der verhängnisvolle Kampf zweier Männer um die Geliebte, in dem der intrigierende Dritte Sieger und der romantisch angehauchte Poet Gilles auf der Strecke bleibt. Man versuche nicht, für dieses luftige, poesievolle Verbalgewebe, das sich durch die direkte Einbeziehung des Publikums und romantische Ironie vor Rührseligkeit bewahrt, eine Formel zu fihden! Ein zart dahinschwebender Theaterabend, an den man dank der guten Übersetzung Oskar Willners, der gescheiten Regieführung Georg Vrbas und ansprechender schauspielerischer Leistungen (vor allem Gudrun Geyer, Friederike Weber und Reinhold Fischer) gerne zurückdenkt.

• Im „Theater im Palais Erzherzog Karl“ in der Annagasse wird als österreichische Erstaufführung das, seiner Entstehung nach, zweite Drama von Albert Camus, „Das Mißverständnis“, gezeigt. Mutter und Tochter ermorden in ihrer bis zur Hysterie gesteigerten Sehnsucht nach einer Rettung aus alptraumhaftem, bedrückendem Alltag — die sie sich durch eine Reise in ein südlich gelegenes Land erhoffen, für die sie aber Geld brauchen — einen wohlhabenden Fremden, den sie nach der Tat als Sohn und Bruder wiedererkennen müssen. Das Mißverständnis, Ursache für Feindschaften, Kriege, Morde, besteht für Camus im Wort beziehungsweise im nichtgesagten Wort. — Regisseur Fred Schaffer und sein Bühnenbildner E. Plaene hatten zu wenig Mut zur Drastik der Schwarzweißzeichnung, so daß sich das Mißverständnis dem Zuschauer nicht so wuchtig offenbart, wie es Camus beabsichtigt hat. Die jungen Darsteller, insbesondere Eva Petra und Heinrich Eis, leisten in ihren schwierigen Rollen Beachtliches.

• „Die Teufelsstunde“ des ungarischen Autors Ladislaus Fodor („Matura“, „Arm wie eine Kirchenmaus“, „Kuß vor dem Spiegel“), die im „Theater der Courage“ zur „Welturaufführung“ gelangte, hätte der vehementen Verteidigungsrede für das „Normaltheater“ im Programmheft durch Frau Direktor Kadmon sicher nicht bedurft, denn es handelt sich hier um ein durchaus theaterwirksames Stück, das den Routinier spüren läßt. Besonders die ältere Generation nimmt an den Seelennöten des Professors mit grauen Schläfen (Herbert Lenobel), der sich aus Liebe zu einer Studentin (von Margret Fuchs sehr charmant, wenngleich zu damenhaft dargestellt) einer Verjüngerungskur unterzieht, lebhaft Anteil. Regisseur Otto Am-bros waltete (wenn wir von der ringkampfähnlichen Liebesszene absehen) sehr dezent seines Amtes.

• In kurzem zeitlichem Abstand wird in zwei Wiener Kellerbühnen („theater am belvedere“ und „Studententheater“) die Exhumation eines Schriftstellers vorgenommen, über dessen sezierende und tiefgreifende Beobachtungsgabe hinweg das genußfreudige Nachkriegs-Wien nur allzubald zu dem durch Heurigenliederromantik und Praterkitsch geprägten Alltag zurückfand: Jura Soyfer (1912 bis 1939), dessen in der kleinen Form evidente Begabung auf die Erneuerung des Volksstücks hinzielte. Der Arbeiterdichter Soyfer ist in seinen Kurzstücken weniger radikal als in seinen Gedichten und Glossen, so daß sie auch im Zeitalter der Gewerkschaftspaläste brennende Aktualität aufweisen, zumal ihr Autor ein feinsinniger Beobachter der kleinen Alltäglichkeiten ist. Die Idee, die dem in der Ausführung etwas schwächeren Stück „Weltuntergang“ zugrunde liegt, mag den, Ttihgeft Regisseur Ferenc Frey bewogen haben, das kabarettistische Kurzdrama im „theater am belvedere“ (Wien IV, Momm-sengasse 11) aufzuführen: Soyfer überprüft in gut pointierten Streiflichtern die Reaktionen der Menschen in bezug auf den knapp bevorstehenden Weltuntergang. Daß der bitteren Anklage gegen Gedankenlosigkeit, Egoismus, „Geschäftstüchtigkeit“, Bürokratismus usw. ein fast weinselig-versöhnlicher Schluß folgt, nimmt dem „Weltuntergang“ viel von seiner aktuellen Bedrohlichkeit. Dem „theater am belvedere“ darf man zu einer recht gelungenen Aufführung, der man in positiver Weise anmerkt, daß hier Geist die äußeren Mittel ersetzte, gratulieren.

• Im „Theater im Schwarzspanierhof“ macht zur Zeit die junge Schauspielerin Hanna Tomek mit ihrer interessanten dunklen Stimme in der Rolle der Anouilh-schen „Medea“, von Regisseur Fritz Papst und ihren Partnern alleingelassen, allabendlich Rhetorikübungen vor zahlendem Publikum. Nun hat das „Ensemble T“ hoffentlich bald mit seinen Weltliteratur-Fehlleistungen so viel Geld gescheffelt, daß der angekündigte „Tote Tag“ von Ernst Barlach im Spielplan zu einer Serie interessanterer und besserer Aufführungen überleiten kann.

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