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Die Lustspielfabrik

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Die Kommerzialisierung des literarischen Vergnügungsbetriebes hat seinen Höhepunkt und die letzte Ausfaltung unzweifelhaft in der Serienproduktion der Filmindustrie Hollywoods gefunden. Die großen Vorläufer und beachtlidien Initiatoren dieser Entwicklung kamen aber aus Europa. Das Achtzimmerwohnung-Lustspiel des Ufa-Konzerns versorgte bereits kurz nach dem ersten Weltkrieg Europa mit Schau- und Gefühlskonserven, welche leit der Erfindung des Tonfilms noch eine deutliche Verbesserung erfuhren. Nun brachte jeder Ufa-Film ein bis drei zugkräftige Schlagermelodien, gängige Leitmotive, welche dem Film den Erfolg sicherten, ja ihn oft in Gedächtnis, das heißt Gehör der Massen überlebten. Auch diese Produktion war jedoch nicht mehr Original, sie ruht auf der Vorarbeit der beiden großen Zentren der europäischen Vergnügungsindustrie von Paris und Budapest. Die Pariser Lustspielfabrikation konnte das höhere Alter, die Tradition des 19. Jahrhunderts und den Ruhm französischer Ejeganz für sich als gegebene Aktiva buchen. Budapest jedoch glich dies aus durch Neuheit, Modernität und Musikalität, nicht zuletzt durch eine geschickte Maskierung, eine kluge Regieverteilung der Rollen. Zahlreiche Serienprodukte dieser ungarischen Lustspiel-und Operettenproduktion gingen in die Welt als „Made in Vienna“, als süße Wiener Ware, Mischkonfekt, gebacken und verpackt zwischen Plattensee und Wörthersee, in den Literatencaf^s der beiden Donaumetropolen. Wien, das mit Paris und Budapest zahlreiche Eigentümlichkeiten des seelischen Klimas gemeinsam hat — es nimmt etwa die Mitte zwischen der weltstädtischen Eleganz von Paris und Budapest, füllt deshalb nicht zufällig die sommerliche Lücke seines Theaterspielplans mit Stücken aus der französisdien. beziehungsweise ungarischen Serienproduktion — in der Hoffnung, daß die „Gekonntheit“ dieser Fabrikate ihnen auch den langen Atem sichern werden, der eben für das „Durchhalten“ der Großstadtbühnen in der Sommerzeit unbedingt erforderlich ist. Das Problem des sommerlichen Großstadttheaters ist folgendes: Wie erzeuge ich auf der Bühne jenen lauen Wind angenehmer Erregung, leichtester innerer Bewegung, welche es einigen hundert Menschen ermöglicht, trotz gesteigerter Transpiration in der matten Dunkelheit eines engen, geschlossenen hochsommerlichen Raumes zu verweilen, ohne einzusdilafen, ohne aber auch verstört und gereizt zu einer unverantwortlichen Verausgabung von Energien veranlaßt zu werden, welche in diesem Raum unter diesen Verhältnissen als ernste Störung angesehen werden müßte ...

Die Lösung dieses Problems scheint nun dem Theater in der Josefstadt nicht ganz, vollinhaltlich aber der „Insel“ geglückt zu ein: ein Theatersieg der Ungarn über die Franzosen. Auf der Bühne der Josefstadt wird Andr^ Birabeaus „W i e sag ich's meinen Mütter n“, in der „Insel“ Franz Molnars „Spiel im Schloß“ gegeben. Birabeaus Komödie versucht die Tragödie spätbürgerlicher Ehewirrnisse als Tragikomödie zu einem Happyend zu führen. Ein junger 18jähriger Mann begeht einen Selbstmordversuch — weil er defraudiert hat? —, nein, weil die Verwirrung seiner äußeren Verhältnisse nur Folge und Ergebnis seiner inneren ist. Dieser Jüngling ist das Produkt der Erziehungsversuche von drei Müttern, welche nach dem allzufrühen Tod seiner leiblichen Mutter als kurzfristige Gattinnen seines Vaters das Kind, den Knaben, den reifenden jungen Menschen als verniedlichtes, verzogenes Spielzeug ihrer sehr verschiedenen Temperamente und auch sehr verschiedenen Erziehungskünste behandelt haben.

Am Krankenbett des Jünglings treffen also die drei Mütter mit diesem und mit sich selbst zusammen. Vier lange Akte hören und sehen wir geduldig zu, wie der junge Mann jede dieser Mütter auf ihre Weise liebt, beschwindelt und belügt. Nicht in böser Absicht, sondern aus Notwehr! Wie soll er dieser gutmütigen, reifen Dame, die ihn als Baby betreut hat, jener energisch klugen, diktatorisch hochbegabten Frau, welche ihn dann bis zum 13. Lebensjahr gelenkt, und endlich wieder diesem jungen und netten Sportsmädel (der dritten Frau leines Vaters), welche ihm bis vor kurzem Mutter-Kameradin gewesen ist, klarmachen, was in ihm vorging, als er sich zu erschießen versuchte? Eine innere und innerliche LSsung gibt es in diesem Spiel nicht, kann es hier nicht geben. Die drei Temperamente, diese drei Mütter scheiden abschiedwinkend von der Bühne seines jungen Lebens; der heimkehrend Vater schließt den Jungen in sein Arme. Ach, warum kommt er erst am Ende des vierten Aktes? Aber — und dies ist eben die kluge Bosheit des Lustspieldichters, dieser Vater hätte, wenn er im ersten Akt erschienen wäre, das Auftreten und das Auftanzen der drei Damen und damit das ganze Stück überflüssig gemacht.

Besser fahren wir in der Insel, das heißt leichter, wörtlich kurzweiliger segeln wir hier durch die lauen Lüfte des Sommerabends. Molnars alterprobtes „Spiel im Schloß“ hat nichts von seinem Sdiimmer eingebüßt, es ist das Trio eines temperamentvoll vorgetragenen Einfalls, der der Bühne gibt, was sie braucht und noch genug „Wirklichkeit“ durchschimmern 12ßt, so daß wir den Personen des Stückes jenes Maß von Glaubwürdigkeit schenken, welche sie für zwei Stunden „Leben“ benötigen.

Ein Spiel um das Theater des Lebens. Pirandello hat es bekanntlich tragischnihilistisch gesehen, Molnar will es heiter zeigen — gemeistert durch die warme Weisheit eines grundgescheiten Kopfes. Ein junger Komponist wird unerwartet und unverhofft Hörzeuge eines letzten Liebesspiels seiner Braut mit ihrem . früheren Freund, einem alternden Schauspieler, der immer noch die Heldenrollen seiner Bühnenlaufbahn im Leben weiterspielen will...

Verzweiflung des Jungen, dem sein Ideal zusammenbricht, verzweifelt schnelles Arbeiten seines väterlichen Freundes, des Bühnendichters: In den wenigen restlichen Stunden der schwierigen Nacht schreibt er ein Stück, welches die inkriminierte Szene aus der Ebene der Schuld, der Wirklichkeit, in die Ebene der Freiheit des Spiels transponiert. Am folgenden Abend ist Premiere des Spiels im Spiel und damit Höhe und Lösungspunkt aller Verwicklungen. Das Theater hat den jungen Künstler von der Not des Lebensspiels befreit.

Da alle Mitspieler mit den besten Absichten — und die Schauspieler mit bestem Können bei der Sache sind, wird der Abend zu einem großen Erfolg für Dichter, Theater und Publikum. Molnar gibt den Geist, die Insel die Mittel, das Publikum stellt seinen guten Willen zur Verfügung. Der Theatersommer der „Insel“ scheint gerettet . . .

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