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Klaus Manns letztes Buch

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ANDRE GIDE UND DIE KRISE DES MODERNEN DENKENS. Von Klaus Mann. Nymphenburger Verlagshandlung, München, 1966. 396 Selten. DM 19.80.

Klaus Mann (geb. 1906), der älteste Sohn Thomas Manns, ging 1949 freiwillig aus dem Leben. Man muß der Nymphenburger Verlagshandlung dankbar sein, daß sie sein Werk in Neuausgaben wieder der Öffentlichkeit zugänglich macht, denn Klaus Mann ist ja weit mehr als nur ein „interessanter“ Autor, den in letzter Zeit der Prozeß wegen seines Romans „Mephisto“ wieder in das grelle Licht des Sensationellen stellte. Sein dichterisches und essayistisches Werk zeugt von großer Begabung, von einem seelisch äußerst differenzierten Künstler, der in seinem humanen “'“'eltbürgertum, her auch in seinem unruhigen Suchen ein Repräsentant jener Generation war, die nach dem ersten Weltkrieg den Zerfall der alten Ordnungen und den Ausbruch der Barbarei erleben mußte. Auch sein persönliches Schicksal war von tragischer Problematik gezeichnet Man übersah und verkannte oft Klaus Manns künstlerische Eigenständigkeit, wenn man den Vergleich mit dem großen Vater zog. Wie wir aus seinen autobiographischen Büchern „Kind dieser Zeit“ und „Der Wendepunkt“ wissen, war er schon von Jugend an den mannigfachen literarischen Strömungen seiner Zeit aufgeschlossen, und so blieb es auch bis zu seinem Ende. „Klaus Mann lebte in der Literatur und die Literatur lebte In ihm“, schrieb Hermann Kesten. Während seines unsteten Lebens, das er zuerst aus freier Wahl, dann unter dem Zwang der Emigration führte, lernte er viele Autoren kennen und war mit nicht wenigen befreundet. Zu diesen zählte auch der französische Dichter Andre Gide, den er im Juni 1925 in Paris zum erstenmal traf. Emst Robert Curtius hatte den Kontakt angebahnt.

Klaus Manns Buch über Gide ist sein letztes Werk. Es wurde ursprünglich englisch geschrieben und erschien zuerst 1943 in New York. Der Autor selbst besorgte die vorliegende deutsche Fassung. Sehr geschickt und wirkungsvoll wird hier das Biographische mit der Werkdeutung verbunden. Das Buch beginnt mit den ersten persönlichen Eindrücken, mit der literarischen Stellung Gides im Frankreich der zwanziger Jahre. In zehn Kapiteln wird mit einer ungewöhnlichen Einfühlungsfähigkeit und tiefer Kenntnis des Werkes das Leben und Schaffen des vielgepriesenen, aber auch vielbefehdeten Dichters, vom Erstling „Les cahiers d'Andre Walter“ bis zur Erzählung „Theseus“ geschildert. Klaus Mann ist ein Verehrer Gides, er will sein Bild als Mensch und Künstler von allen Verzerrungen befreien, aber er ist kein Lobredner und kritikloser Schwärmer. Er kennt die Schwächen Gides genau und scheut sich nicht, sie zu nennen; sein Kommentar zu biographischen Details und zu einigen Werken hat manchmal einen nicht überhörbaren ironischen Unterton. Hie-und da verfällt Klaus Mann in einen allzu temperamentvollen Reportagestil — besonders auffallend in der Schilderung der Begegnung Gides mit Oscar Wilde.

Gide erscheint als ein sich immer wandelnder Dichter, der sich nicht festlegen läßt und in keinem seiner Bücher ganz aufgeht, denn „jedes einzelne Buch gibt nur bestimmte Möglichkeiten und Ansichten seines Wesens, das sich im Gesamtwerk spiegelt und erfüllt“. Er scheute jede religiöse, philosophische, literarische oder politische Bindung und blieb immer nur sich selbst treu. („Das Gesetz, nach dem er angetreten, gestattet ihm nicht, konsequent zu sein.“) Die Essenz seines Wesen war, wie Mann das formuliert: „Neugier als geistige Passion, Abenteuerlust als tragisches Schicksal.“ In der Dichtung „Die Heimkehr des verlorenen Sohnes“ wird dies alles gleichnishaft deutlich. Es sind einige wenige zentrale Gedanken, die in Gides Werk, das den Weg vom Romantischen zum Klassischen nimmt, immer wieder neu beleuchtet und gestaltet werden.

Klaus Mann stellt uns seinen Dichter nicht als isolierte Erscheinung dar, sondern zeigt ihn in der Auseinandersetzung mit dem geistigen und politischen Geschehen der Zeit und macht so am Beispiel dieses Mannes und seiner Entwicklung die Wandlungen des kulturellen Lebens und damit auch die Krise des modernen Denkens sehr klar sichtbar. Daß er sich von Gide angezogen fühlte, war kein Zufall, auch er war ein unruhig Suchender, getrieben von der „schöpferischen Unrast“. Diese Biographie, die wenige Jahre vor Gides Tod erschien, ist fesselnd, reich an klugen Einsichten, subtilen Beobachtungen und glücklich formulierten Interpretationen. Sie ist wichtig für die Kenntnis Andre Gides — aber auch ebenso wichtig für die Kenntnis Klaus Manns.

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