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Kleines österreichisches Epos

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Stets war das echte, gewachsene Epos herbe Frucht wilder Zeiten, brachte Kunde von Kriegen und Zusammenbrüchen, spann Mären um geschichtliches Geschehen und um Taten: Odyssee, Edda, Widsith, Nibelungenlied… Das Epos des Dreißigjährigen Krieges „Simplicius Simplicis- simus“ vollendet H. J. Chr. v. Grimmelshausen, der ehemalige Landsknecht, 20 Jahre nach’ dem westfälischen Frieden. Zum Epos des Weltkrieges hatte Walter Flex angesetzt. Er, der traum- verhangene „Wanderer zwischen den beiden Welten“ hatte religiöses Opfer und deutsch-patriotisches Heldentum zu einten vermocht; aber er fiel als Jüngling. —

Und heute? Im letzten der epischen „Vier Quart’elle“ (Amandus-Edition, Wien), dem im zweiten Weltkrieg in London gedichteten „Little Gidding“, weist T. S. Eliot die Wahl auf: zwischen dem herabstürzenden glänzenden Vogel, dem Stuka, und der Flammentaube des HeiEgen Geistes; die Wahl zwischen „Brand und Brand“, zwischen dem Feuer des Hasses und dem der opfernden Liebe. Nüchtern — krasser Realismus und religiöse Orphik sind in dichteste dichterische Aussage komprimiert. Eben sehen wir Ernst Jüngers Kriegstagebücher ein. Präzis, schneidend realistisch und doch fast lässig elastisch ist des Wort- und Bildmagiers Denk- und Redestil. Vom heroischen Nihilismus findet er zu christlichem Gebet und zur „Theologie“.

In dieser Situation legt der Österreicher Siegfried F r e i b e r g, Autor der Bände „Die harte Freude“, „Salz und Brot“, sowie des jüngst ur- aufgeführten Zeitstückes auf metaphysischen Hintergrund „Das kleine Weltwirtshaus“, ein Büchlein vor: „Wo der Engel stehen sollte…“ (H. Bauer Verlag, Wien) Es ist der Versuch eines kleinen österreichischen Epos, der unpathetische, fast anonyme Gesang vom Ende des ruchlosen Krieges und vom Anfang des rühmlosen Friedens in der österreichischen Landschaft, im österreichischen Menschen. Freiberg ist von Haus aus Realist. Er steht auf dem harten Boden der Wirklichkeit — im Gegensatz sowohl zu Eliot als auch zu Jünger. Darum streben die beiden zur unästhetischen, umgangssprachlichen Aussage hin; darum strebt Freiberg von ihr weg, in gehobene, klangvoll gerundete Sprache, welche die Dinge nicht beim Namen nennt, sondern poetisch umschreibt. So versucht er das Probern der Zeit-Dichtung (dies Wort ist ein Paradoxon, denn echte Dichtung überragt die Zeit) auf seine Weise zu lösen.

Die Handlung des Buches? Es gibt keine Handlung in ihm, nur Bericht von einem allgemeinen Geschehen, vom Rückzug des todmüden Heeres auf den Straßen nach Westen, von der Niedertracht der „Stecher“ (Unteroffiziere), dem verkrampften Widerstand der „Blender“ (Offiziere), dem Einzug der „Behelmten“ in die frühsommer- lichen Almtäler. Gleichnis, nicht Charakter ist die Figur des Soldaten Florian, der die geliebte Frau trotz „der Bedrohung aus den Lüften“ und trotz dem Anmarsch der „Stämmigen“ in der Hauptstadt zurückgelassen hat. Schwer ist die Begegnung Florians mit einem Mädchen zu deuten, das ihm in den Bergen die „blaue Rautenblüte, dieses kleine unbekannte Nichts“, zum erstenmal zeigt; vor der Wiederkehr in die Heimat erblickt Florian das Abbild dieser „blauen Blume“ im Fenster einer Kirche. Ist der innere Ertrag aller Nöte doch nur eine ästhetische Reminiszenz? Nein. Jener Florian und seine wiedergefundene Frau wissen, daß sie • „im ungewissen nicht verloren sind“. Mehr noch: In der ruhigen Schlichtheit des Buches wohnt stärkere Kraft als in heidnischem Lobpreis von Helden und Waffen. An Freiberg „Gleichnis und Bericht“ ist nichts Artistisches — die Gefahr moderner Dichtung. In seiner verhaltenen Demut und herben Liebe zum Land und zu den Menschen ist es Zeugnis von der inneren Überwindung des Hochmuts und Hasses. Bücher wie dieses sind Zeichen, daß der Engel vielleicht an manche Stellen wieder hintreten wird, wo durch Jahre nur der Dämon stand.

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