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Konfrontationen mit Menschen

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Letztlich ist das ein Lehrstück. Die vorgeführte Parabel besitzt eine Nutzanwendung für die menschliche Gemeinschaft. Bertolt Brecht, der in seiner derzeit im Burgtheater aufgeführten Szenenfolge „Der kaukasische Kreidekreis“ auf das sechshundert Jahre alte chinesische Schauspiel „Der Kreidekreis“ zurückgreift, nimmt in der Fabel dieses Stücks eine wesentliche Veränderung vor. Er entscheidet sich wider die Bande der Natur. Es geht bekanntlich darum, welche von zwei um ein . Kind streitenden Frauen die wahre Mutter ist. In dem alten Stück siegt durch die Kreidekreisprobe die wirkliche Mutter. Bei Brecht siegt die Magd Grusche, die das Kind unter schwersten Entbehrungen aus einem revolutionären Umsturz gerettet hat, gegen die Gouverneursfrau, die es im Stich ließ. Es gibt zwischen den beiden Frauen einen Klassenunterschied, die gute „Mutter“ ist die Magd, die schlechte, aber wirkliche Mutter, die Dame aus der Klasse der Herrschenden. Nicht die Blutsbande entscheiden, sondern das Verhalten dem Kind gegenüber. Anders gesagt: Nur Leistung rechtfertigt Besitz. Die politischen Schlußfolgerungen haben wir .selbst zu ziehen.

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Letztlich ist das ein Lehrstück. Die vorgeführte Parabel besitzt eine Nutzanwendung für die menschliche Gemeinschaft. Bertolt Brecht, der in seiner derzeit im Burgtheater aufgeführten Szenenfolge „Der kaukasische Kreidekreis“ auf das sechshundert Jahre alte chinesische Schauspiel „Der Kreidekreis“ zurückgreift, nimmt in der Fabel dieses Stücks eine wesentliche Veränderung vor. Er entscheidet sich wider die Bande der Natur. Es geht bekanntlich darum, welche von zwei um ein . Kind streitenden Frauen die wahre Mutter ist. In dem alten Stück siegt durch die Kreidekreisprobe die wirkliche Mutter. Bei Brecht siegt die Magd Grusche, die das Kind unter schwersten Entbehrungen aus einem revolutionären Umsturz gerettet hat, gegen die Gouverneursfrau, die es im Stich ließ. Es gibt zwischen den beiden Frauen einen Klassenunterschied, die gute „Mutter“ ist die Magd, die schlechte, aber wirkliche Mutter, die Dame aus der Klasse der Herrschenden. Nicht die Blutsbande entscheiden, sondern das Verhalten dem Kind gegenüber. Anders gesagt: Nur Leistung rechtfertigt Besitz. Die politischen Schlußfolgerungen haben wir .selbst zu ziehen.

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Heute sinkt dieses Klassenkämpferische des szenischen Sozialtheoretikers Brecht unter, der Dichter wird stärker spürbar. In den vielen episch hingebreiteten Szenen ergreift die aufopfernde Liebe der Grusche zu dem Kind, im dichteren zweiten Teil packt die großartige Gestalt des Dorfschreibers Azdak, der als Richter fungiert. Das ist ein vitaler Kerl, ein Schelm, gemischt aus einer Fülle sich prächtig widersprechender Eigenschaften.

Regisseur Gerhard Klingenberg bietet eine vortrefflich durchgetönte Aufführung des überaus personenreichen Stücks, die Namen der Darsteller nehmen im Programmzettel zwei Seiten ein. Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen: Auf der Drehbühne erscheinen kleine Bauten, im Hintergrund entfalten sich Rollbilder mit der Darstellung der Schauplätze nach Art chinesischer Tuschzeichnungen. Inge Konradi ist eine Grusche von überzeugend schlichter Gefühlskraft, Rene Deltgen gibt dem Azdak das Saftige der Vollnatur, die Schläue, das Egoistische, den Sinn für Gerechtigkeit, eine hervorragende Leistung. Heinz Reincke hat das herb Aufrechte des Soldaten Simon, Alma Seidler bietet als alte Bäuerin liebenswerte Einfalt, Paul Hörbiger trägt als versoffener orthodoxer Mönch 'etwas zu sehr auf.

Die Dramatiker waren immer wieder Anwälte der Zukurzgekommenen. Jean Anouilh dreht das in seiner Komödie „Die Goldfische oder Mein Vater, der Held“ — derzeitige Aufführung im Theater in der Josefstadt — radikal um: Da werden die Benachteiligten durch ihr anmaßendes Auftrumpfen ins Unrecht gesetzt. Der Bühnenautor Antoine de Saint-Flour, Sohn aus reichem Haus, ist ein gutmütiger, mitleidsvoller Kerl, den sein pfiffiger Freund, ein Arbeitersohn, ständig „Bürgerschwein“, „Dreckskerl“ tituliert und schamlos ausnützt. Ein buckliger Arzt hält Antoine geifernd seine unverkrüppelte Statur vor und kündigt die Weltherrschaft der Krüppel an. Auch Frau, Tochter und Geliebte sind gegen ihn. Im besonderen wird der Freund, Mann aus dem „Volk“, mit ingrimmiger Lust als charakterlos • gezeichnet, er, der den andern „Schwein“ nennt, ist selbst das Schwein. Da wuchern arge bour-geoise Ressentiments in Anouilh. Die lose Szenenfolge erweist eine leichte Hand, die Zeiten, in unchronologischer Folge von der Jugend an, überdecken sich teilweise spielerisch. Klugwitzige Aussprüche gibt es, aber auch reichlich billige Szenen. Unter der unbeschwerten Regie von Heinrich Schnitzler sind Horns Holt für Antoine und Fritz Muliar für den Freund deckende Besetzungen. Helly Serin bietet als Antoines Gattin beinahe störend komische Akzente, Sylvia Eisenberger als Tochter, Brigitte Neumeister als Geliebte gelingt es nicht voll zu überzeugen. Guido Wieland wirkt präzis penetrant als buckliger Arzt. Gottfried Neumann-Spallart begnügt sich als Bühnenbildner mit verschieden gestellten, hell-einfarbigen Wänden und einer seitlichen Kulisse mit Photomontagen.

Der 31jährige Amerikaner Zsrae! Horovits war Hausautor bei der Royal Shakespeare Company, hat mit zwei Einaktern Preise und die nachdrückliche Anerkennung der „New York Times“ errungen. Diese beiden Stücke werden derzeit im Theater der Courage, vom Ensemble der Aufführung ins Wienerische umgesetzt, dargeboten. In dem Einakter „Früchterl“ sucht die Geliebte jenes jungen Menschen, der von einem andern ohne Verschulden überfahren wurde, den „Mörder“ auf, tobt auf ihn los und — geht mit ihm ins Bett. Das ist, wir kapieren, ein szenisches Kürzel für die Vorstellung: Das Leben geht weiter. Wird zugleich zu einer Kritik am Verhalten eines Teils der heutigen Jugend. Der zweite Einakter „A Tschusch wü nach Sim-mering“ basiert auf der Beobachtung, daß primitive Menschen — und nicht nur sie — jede Ungleichheit bei andern zur Aggression reizt. Zwei junge Rowdys und ein Inder warten bei einer Autobushaltestelle. Die beiden provozieren den Fremden, schließlich stößt der eine ihm ein Messer in den Leib. Die Realistik in der Sprache wird bis zu sexuellem Unflat getrieben, die verbrecherischen Rohlinge widern um so mehr an. Weshalb der Inder nicht Lärm schlägt, davonläuft, bleibt unerfindlich. Unter der Regie von Eva Kerb-ler bieten Sirrin. Lücking, und Wolfgang Quetes im ersten Einakter Durchschnittsleistungen, der zweite wird von Dieter Berner und Werner Gruseft in beklemmend wirkender Brutalität ausgespielt, ein Inder Joginder Singh, spielt den sanftmütigen Inder. Gerhard Janda entwarf die realistischen Bühnenbilder.

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