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Brennpunkt Ehe

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Der ferraresische Philosophieprofessor und Literat Girald Cintio erzählt in einer Novelle der „Ecatommiti“ einen etwas reißerisch wirkenden Vorfall: Kaiser Maximilians Innsbrucker Gouverneur läßt einen Jüngling, der einem jungen Fräulein Gewalt angetan hat, hinrichten, obwohl sich ihm die Schwester des Verurteilten unter der Bedingung hingegeben hatte, daß er ihrem Bruder das Leben schenkt. Diese Story verwendete Whet-stone für ein Stück und vermutlich danach entstand Shakespeares Komödie „Maß für Maß“, das derzeit im Volkstheater gespielt wird.

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Der ferraresische Philosophieprofessor und Literat Girald Cintio erzählt in einer Novelle der „Ecatommiti“ einen etwas reißerisch wirkenden Vorfall: Kaiser Maximilians Innsbrucker Gouverneur läßt einen Jüngling, der einem jungen Fräulein Gewalt angetan hat, hinrichten, obwohl sich ihm die Schwester des Verurteilten unter der Bedingung hingegeben hatte, daß er ihrem Bruder das Leben schenkt. Diese Story verwendete Whet-stone für ein Stück und vermutlich danach entstand Shakespeares Komödie „Maß für Maß“, das derzeit im Volkstheater gespielt wird.

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Der Titel stimmt nicht, denn dem verbrecherischen Angelo wird ungerechtfertigte Gnade zuteil. Vollends wirkt Mißbrauch der Macht, die sich erst durch ein abstrus übersteigertes positives Recht ergibt, kaum als Anklage. Was ist dem allem entgegenzuhalten? Poetisches, das leider nur sehr vereinzelt spürbar wird, und derbe Volksszenen, die an den späteren Hogarth denken lassen.

Die Trias von verbrecherischer Härte, Güte und Derbheit kommt unter der Regie von Gustav Manker gut zur Geltung. Einzelne Rollen werden, da das Stück in Wien spielt, in Wiener Mundart gesprochen. Rudolf Schneider-Manns Au hat auf der Drehbühne reizvoll verwinkelte Spielräume errichtet. Hans Jaray begnügt sich als Herzog mit gewinnender Liebenswürdigkeit, Ernst Meister zeichnet glaubhaft das Kalt-Fanatische des Angelo, Egon Jordan bietet als sein Gehilfe gewohnte Würde. Durch Lauterkeit überzeugt Kitty Speiser als Isabella. Fra?iz Morak ist ein herb wirkender Claudio, Heinz Petters gibt einem Schwätzer lustvolle Frechheit. *

In Werfeis „Spiegelmensch“ gibt es für die Hauptfigur Thamal nicht nur die eigene Tatkraft als Spiegelmensch, sondern auch einen Mönch als sein Gewissen. Felicien Marceau ordnet in seinem neuesten Stück „Die Krone der Schöpfung“ („L'homme en question“), das im Theater in der Josefstadt uraufgeführt wurde, einem „Er“ eine geschlechtslose „Sie“ zu, die ihm nächstens als sein Gewissen rekapitulierend das bisher gelebte Leben zu Überprüfen zwingt.

Das ermöglicht ein lockeres Nacheinander kleiner Szenen, wie es Felicien Marceau liebt, wobei beschönigendes Erinnern korrigiert wird. Es zeigt sich, daß dieser „Er“,

Monsieur Jaume, seine Tochter allzusehr liebte und den Schwiegersohn durch dauernde Gehäßigkeiten in den Selbstmord trieb, worauf sie sich von ihm abwandte. Diese Story führt Marceau langatmig vor, man fragt sich: wozu? Husch-husch wird Jaume ein anderer und gleich auch Minister. Das Stück verharrt in einer Plätscherregion, gelegentliche kluge Worte wechseln mit mancherlei Banalitäten über die Liebe. In Mar-ceaus „Ei“ gab es den Hohn auf herrscherlich siegende Antimoral, dazu reichts es hier nicht.

Heinrich Schnitzler inszenierte das Stück mit gewohnter Noblesse. Hans Holt gewinnt dem „Er“ ab, was sich dieser Rolle abgewinnen läßt, Vilma Degischer ist ein klug forschendes „Gewissen“, Brigitte Neumeister macht als Tochter die ambivalenten Gefühle glaubhaft, Heinz Marecek gibt der harmlosen Inferiorität des Schwiegersohns einigen Halt. Es gelingt Gottfried Neumann-Spallart nicht ganz, im Bühnenbild die Antithese zwischen Irrealität des „Gewissens“ als Person und der Realität der Vorgänge ins Optische umzusetzen. Felicien Marceau sagte zu mir vor Jahren, es wäre schlecht, wenn er immer nur gute Kritiken hätte. Danach müßte er mit dieser Resonanz zufrieden sein. Es spräche für ihn.

*

Eine Abendunterhaltung über die Ehe findet derzeit unter dem Titel „Gemischtes Doppel“ im Kleinen Theater im Konzerthaus statt. Dabei werden acht Szenen für zwei Schauspieler von englischen Autoren — darunter James Saunders, Harold Pinter, Alan Ayckbourn — aufgeführt, die Anton Rodgers zusammenstellte. Das reicht vom Gespräch eines jungen Paars nach der Hochzeit in der Eisenbahn bis zu dem zweier Alter auf einer Friedhofsbank. Es wird das Belangvolle des Belanglosen gezeigt, es knistert in den Worten an unterdrücktem Gegensätzlichen, Nichtigkeiten blähen sich zwischen den Partnern überdimensional auf, Vorwürfe kommen hoch, aber: man bleibt beisammen.

Unter der überaus feinfühligen Regie von Edwin Zbonek, die Subtilstes spürbar macht, spielen Ursula Schult und Sieghardt Rupp sämtliche Rollen. Bei vielen Schauspielern stellt man bedauernd fest, wie sehr sie sich ständig gleichen. Bei diesen beiden, vor allem bei Ursula Schult, zeigt sich eine besondere Wandlungsfähigkeit. Unterschiedliche Charaktere zeichnet vorzüglich auch Felix Dworak, der — am Anfang und zwischen den Stücken — in sieben Soloszenen von George Melly Dialoge eines Anwalts, eines Arztes und anderer mit imaginären Partnern oder Ansprachen bei einer Hochzeit, bei einem Begräbnis vorführt.

Englische Autoren geben ihren Stücken wohl kaum je deutsche Titel. Dagegen wählen österreichische Autoren modisch für ihre Werke englische Titel. So Wolfgang Bauer, so Wolfgang Kudrnofsky, der drei ineinander verflochtene Einakter, die derzeit im „Experiment am Lichten-werd“ gespielt werden, „Fall out“ benannte, womit der Zerfall jedweder Bindung, vorweg der familiären, gemeint ist. Das zeigt sich wechselnd auf der einen Seite der Bühne an Oma, Mama und Töchterchen, auf der andern an einigen sexuell Abwegigen. Verschlüsseltes wird eingestreut, ohne aber die Stoßkraft des Absurden zu erreichen. Das zerflatternde Stück sucht Helmut Siderits von der Regie her zu binden, Wolfgang Steinweg entwarf das beachtliche Bühnenbild.

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